Gottesanbeterin aus Seide

■ "Fashion Art" im Haus der Kulturen zeigt avantgardistische Haute Couture aus Korea

Was für ein Kleid! Es ist gefertigt aus vier tonnenförmigen Reusen aus einem feinen weißen Netzstoff – zwei Ring-Netz-Konstruktionen für die Arme, eine fürs Oberteil und eine für den Rock. Im Innern des Kleides, etwa auf Hüfthöhe, steht eine kleine Stadt aus Stoff und Draht, ganz weiß und zart, von winzigen Glühbirnen beleuchtet. Darüber stehen zwei Monde, die die Brüste bedecken.

„Zwei Monde“ von Yoo Young-Sun ist eines der phantastischsten Kleider in der Ausstellung „Fashion Art aus Korea“, die zusammen mit der Kunst- und Kalligraphieausstellung gestern im Haus der Kulturen der Welt eröffnet wurde. Zu sehen sind 36 Kleider von koreanischen Studenten der Sunshine Women- und Ehwa Universität in Seoul.

Aber warum Kunst? Die meisten Kleider sehen trotz der ungewöhnlichen Materialien, wie Vinyl oder Maulbeerpapier, durchaus tragbar aus. Man kann sich halt nicht darin hinsetzen, aber das kann man auch in Haute-Couture- Roben oft nicht. „Gottesanbeterin“ von Jin Kyung-Ok zum Beispiel ist aus handgewobener Seide, deren rote Farbe zum Saum hin heller wird. In Kniehöhe läuft das Kleid in Zipfeln aus, die von Drähten nach oben gebogen werden. Die Silhouette ist einem Westler vertraut: Das Kleid ist stark tailliert und zeichnet deutlich die weiblichen Körperformen nach.

Es ist zu vermuten, daß dies eine Inspiration aus dem Westen ist. Am Eröffnungsabend waren nämlich einige Frauen in traditionelle koreanische Kleider gehüllt, und die waren weit – unter dem Busen geraffte Stoffmassen leuchteten in Pink, Türkis, Lila oder einem Rot, das Valentino erblassen lassen würde. Der Körper war nicht einmal zu erahnen. Die Kleider in der Ausstellung, so phantastisch die Materialien oft sind, erinnern dagegen in der Silhouette an westliche Kostüme. Einige ähneln Krinolinenkleidern aus dem 19. Jahrhundert, etwa Huh Jung-Suns „Ein brillanter Abgang“: Es besteht aus einem korsagenartigen Oberteil aus Draht, das kunstvoll verflochten ist, und einem weiten, glockenförmigen langen Rock aus rötlichem, in dramatische Falten geknittertem Maulbeerpapier. Andere Kleider haben kurvige 50er- Jahre-Silhouetten oder geometrische Formen mit Op-art-Mustern, wie sie Courrege in den 60er Jahren einführte. Fast immer sind Hüften, Taille und Brüste deutlich herausmodelliert.

Daß der Besucher über Einflüsse und Ideen der jungen Designer nur Vermutungen anstellen kann, ist allerdings ein schweres Manko dieser Ausstellung. Es gibt weder einen Katalog noch auch nur die kleinste Information zu den Künstlern. So bleibt man am Ende verständnislos: Alles so schön exotisch hier. Anja Seeliger