Grün en bloc

Stadt gegen Natur: Im urbanen Raum endet der Traum vom grünen Wohnhof hundert Jahre nach seiner Erfindung als grünes Zimmer  ■ Von Hans Wolfgang Hoffmann

Zu erzählen ist von einer langen Schlacht: Stadt gegen Natur, das Wohnen gegen andere Nutzungen, das Ich gegen die Gemeinschaft. Die Waffen sind Beton und Brennesseln. Das Schlachtfeld ist der Berliner Hof.

Die Reihe historischer Siege des Grüns eröffnete um 1900 Riehmers Hofgarten an der Yorckstraße. Der erste grüne Wohnhof in Berlin vertrieb Händler und Handwerker von Haus und Hof, dafür gab's Ruhe und Repräsentation für seine bourgeoisen Bewohner. Schmiedeeiserne Gitter verteidigen eine Welt aus Stuck, Ziersträuchern und Blumenrabatten. Das Innere ist ein einziger großer grüner Schmuckplatz. 27 Jahre später wurde aus der Stätte bürgerlich-individuellen Lustwandelns das Experimentierfeld einer proletarisch- solidarischen Gesellschaft. Nach außen sind die Fassaden von Erwin Gutkinds Sonnenhof in Lichtenberg Abwehrfronten, nach innen öffnen sie mit Erkern und Balkonen. Der Hof ist eine einzige Spielwiese, mit dem Hort zur Kindererziehung im Zentrum. Doch noch immer bestimmte allein der Bauherr, wie der Hof seiner Mieter aussah. Erst 50 Jahre später nahmen die Bewohner die Begrünung selbst in die Hand. Mit Schaufel und Spaten bewaffnet und unterstützt von der Internationalen Bauausstellung, verwandelten sie graue Hinterhöfe in kleine Ökotopias. Aus der Mietskaserne Kreuzberg wurde ein Kiezdschungel.

Seit der Wende ist der grüne Wohnhof in der Innenstadt auf dem Rückzug. In der Neuen Friedrichstadt reduziert sich das Wohnen zumeist auf Penthäuser jenseits der Traufhöhe. Höfe werden häufig mit Glas gedeckelt. Gegen klimatische Unbill geschützt, entfalten sie künstliche Welten für was auch immer. Nur das „Hofgarten“-Projekt zwischen Friedrich-, Französischer, Dorotheen-, Behrenstraße schmückt sich mit einer Grünfläche. Doch der Rasen ist bis zur Unbetretbarkeit beschnitten.

Die Gartenpflege dient der Imagepflege. In der Torstraße 131 überbauten die Aachener Architekten Kahlen + Partner das Grundstück mit Läden und Büros. Den Bewohnern der Boarding Houses in den oberen Etagen bleibt eine steinerne Terrasse sieben Meter über dem Pflasterstrand. Triumphe feiert das grüne Wohnen dagegen am Stadtrand. Die Wende bewertete die weitläufigen Wiesen in den von der DDR errichteten Plattensiedlungen genauso negativ wie die Gebäude. Der offene Grünraum, der die Großkomplexe zusammenhielt und eigentlich einen „Freiraum“ im besten Sinn darstellte, erschien als wüste Weite. Um die Bewohner an ihren Wohnblock zu binden, ging auf ihre Freiflächen ein beispielloser Geldregen nieder. 170 Millionen Mark investierte allein die Wohnungsgesellschaft Hellersdorf 1994. In allen Ostberliner Großsiedlungen wurden seit der Wende mehr als 20.000 Bäume gepflanzt. Heute sind bereits 40 Prozent der Freiräume aufgewertet.

Das Ideal der innerstädtischen Wohnhöfe wurde bruchlos in den großen Maßstab projiziert. Der Wohnkomplex als Ganzes war kein Thema, nur der einzelne Block. Hier brachten die Planer das ganze Sortiment gutgemeinter Grünplanung zum Einsatz. Die Weite wurde kleingepflanzt. In „seinem Hof“ kann der Bewohner stundenlang auf neuen, geschwungenen Pfaden lustwandeln. Müllhäuschen, Kuschelecken, Spielplätze und Ökotümpel verschaffen ihm neue Nutzungsangebote.

Das funktioniert, wie der vom Atelier Loidl umgestaltete „Schweriner Hof“ in Hellersdorf beweist, wo die Plattenbauten ein leidliches Geviert bilden. Nicht jedoch, wo sie, wie am Barnimplatz in Marzahn, an dem sich Heike Langenbach versuchte, frei stehen. Auf den überörtlichen Wegenetzen und Großparkplätzen, für die kaum etwas getan wurde, irrt der Besucher nach wie vor umher. Die Siedlung – ein Sammelsurium isolierter Hofidyllen.

Doch fragwürdiger als die Gestaltung ist die Art, wie sie zustande kommt. Anders als zu IBA- Zeiten legten die Bewohner nicht selbst Hand an. Sie dürfen „ihren Hof“ benutzen, aber nicht gestalten. Dafür hat die Verwaltung das Monopol. Sie sieht in dem Mieter nur einen Naturverbraucher, aber keinen aktiven Gärtner. Der Ausweg aus diesem Dilemma ist der Mietergarten. Doch die wenigen Quadratmeter, die die Wohnungsbaugesellschaft Hellersdorf den Mietern einiger Erdgeschosse überließ, sind nur ein bescheidener Anfang. Innovativere Ansätze kommen aus Leipzig. In Grünau, einer der größten Plattenbausiedlungen Deutschlands, fehlt der örtlichen Wohnungsbaugesellschaft die finanzielle Kraft, um die Außenanlagen allein aufzuwerten. Deshalb übernehmen die Mieter selbst die Initiative. Im Sommer 1997 wurden auf der „Grünauer Zukunftswerkstatt“ erste Pläne für eine von allen Bewohnern gemeinsam ausgerichtete „Gartenschau“ vorgelegt.

Für so viel Gemeinsinn ist auf der Bauausstellung Berlin, die 1999 in Pankow und Weißensee stattfinden wird, kein Platz. Sie will zeitgemäße Formen des „individualisierten, verdichteten und gartenorientierten Wohnens“ demonstrieren. Zum Garten orientiert sind denn auch alle 1.200 Eigenheime, deren Pläne derzeit im Deutschen Architektur-Zentrum zu sehen sind: Atrien, Pergolen, üppige Balkone und Terrassen machen ihn zum Teil der Wohnung – und damit zur reinen Privatsphäre. Und diese wird mit allen Mitteln verteidigt. Um Einblicke zu verhindern, die bei einem derart dichten Nebeneinander eigentlich unvermeidlich sind, entwarfen die Berliner Landschaftsplaner Hackenberg und Kiefer eine ganze Palette von Sichtblenden. Ansonsten spalten Mauern die Hofgemeinschaft. 100 Jahre nach seiner Erfindung bleibt vom grünen Wohnhof nur noch ein grünes Zimmer.