"Ein revolutionäres Ereignis"

■ 150 Jahre nach seiner Eröffnung 1848 spiegelt sich im Friedrichshain, dem ersten Volkspark, die jüngere Geschichte der Stadt wider: erst Bürgerpark, dann Reformgelände, Flakbunker und Trümmerberg

Wenn Tobias Günther zu seiner täglichen Joggingtour durch den Volkspark Friedrichshain ansetzt, treibt es ihm keine feierlichen Gefühle, sondern schlichtweg Atemnot in die Brust. An den 150. Geburtstag des ersten städtischen Volksparks zu denken wäre Zeitverschwendung angesichts der Stoppuhr, die er mit sich schleppt. Allein der Sekundenzeiger auf den nächsten zehn Kilometern – entlang dem Märchenbrunnen, über den großen und kleinen Bunkerberg, zurück zum großen See und am „Spanienkämpfer“, dem Friedhof der Märzgefallenen sowie dem Krankenhaus vorbei – interessiert ihn. „Daß ich auf historischem Gelände renne, weiß ich“, sagt der Sportsmann. Daß die landschaftliche Anlage so alt und zugleich so exemplarisch für die anderen innerstädtischen Parkanlagen sein soll, ist Günther unbekannt.

Die Besonderheiten des Volksparks Friedrichshain indessen bekommt Günther zu spüren. Das Phänomen der Parkanlage, das Joggern zusätzlichen Schweiß beschert, liegt in der differenzierten Topographie begründet, wie Landesdenkmalchef Helmut Engel erklärt. Nicht mehr die gleichförmige barocke Gartenanlage mit Baum- und Blumenbeeten, gutgeformten Promenaden und Achsen bildet das Konzept der 1848 eröffneten Anlage. Vielmehr sind es die landschaftlichen Besonderheiten, kleine Täler und Höhenzüge, verschlungene Wald- und große Wiesenflächen sowie angelegte Gewässer, die dem Park seinen „naturhaften Charakter“ geben.

Die Verabschiedung des barocken Parks und die Innovation des „englischen Landschaftsgartens“, der von den Stadtbürgern besucht werden konnte, war eine der Planvisionen des Gartenarchitekten Peter Josef Lenné (1789–1866). Sein Entwurf, auf der Ackerfläche vor der Zollmauer einen öffentlichen Park „zum Plaisier und zur zweckmäßigen Nutzung“ anzulegen, erhielt durch den Bau des Volksparks Friedrichshain durch seinen Schüler Gustav Meyer (1816 bis 1877) noch eine zweite Komponente. „Der Volkspark Friedrichshain mit seinem volkspädagogischen Ansatz ist fast so etwas wie ein revolutionäres Ereignis“, sagt Engel. Zusätzlich zu den Geländeerhebungen sind „Zeichen der neuen Zeit“ die Spielplätze für Kinder sowie Sport- und Turnplätze. Engel: „Unübersehbar waren im Friedrichshain die Anlagen der Körperertüchtigung und Bildung für die Jugend geworden.“

Der naturhafte Charakter und die öffentliche Nutzung des Friedrichshains für Spiel, Sport und Erholung wurden stilbildend für ganze Generationen von Volksparks. Meyers Konzeption findet sich in den Parkanlagen Humboldthain, Treptower Park und in der Hasenheide. Auch sein stadträumlicher Bezug, den der Volkspark Friedrichshain durch die Erweiterung des Bezirks in den 60er und 70er Jahren des 19. Jahrhunderts erhielt, spiegelt sich wider in den großen Volksparks der Reformzeit nach der Jahrhundertwende. Als „grüne Lungen“ im Meer der Mietskasernenstadt und Erholungsort von der erdrückenden Arbeitswelt für die Arbeiter nahmen die Volksparks in Schöneberg, Kreuzberg oder Rehberge die Idee aus Friedrichshain auf – und erweiterten diese: Nicht mehr nur Bürgerparks sollten die grünen Oasen sein, sondern mulitfunktional genutzt werden können.

Die Mehrfachnutzung läßt sich auch am vielfach umgebauten Friedrichshain ablesen: Bildeten die zusätzlichen Anlagen des Hippodroms, des Märchenbrunnens und des Krankenhauses noch integrale Bestandteile des spezifischen reformbewegten Bürgerparks, so markieren die späteren Umgestaltungen dessen Verabschiedung. Zum malträtierten Park für alles und alle – „durch den die Geschichte durchging“, wie Friedrichshains Bezirksbürgermeister Helios Mendiburu zu Recht sagt – entwickelte sich der Friedrichshain nach dem Ersten Weltkrieg. Eishockey- und Fußballfelder wurden angelegt, eine Freilichtbühne für Musikveranstaltungen wurde in den Hang gegraben, Picknick- Areale wurden angelegt, Flakbunker im Zweiten Weltkrieg in den Wäldchen hochgezogen, die Zugänge weggeräumt und sozialistische Gedenkstätten errichtet. Heute liegt er isoliert im Stadtgrundriß, breite Verkehrstrassen umschließen ihn, und man weiß nicht recht, wie man Bezirk und Park wieder zusammenbringen soll. Auch das macht Atemnot. Rolf Lautenschläger