M – Glatzeder sucht einen Mörder

■ Scheppernde Schnitzeljagd in kultverdächtiger B-Picture-Qualität: Der SFB-Tatort „Blick in den Abgrund“, (Sonntag, 20.15 Uhr, ARD)

„Wir haben Spermaspuren und Fingerabdrücke von Höpke am Tatort gefunden... ach ja, wir haben ein Geständnis, und wir haben die Leiche. Was zum Teufel wollen Sie eigentlich noch?“ fragt Winfried Glatzeder die schöne Claudia Messner. Glatzeder muß das fragen, denn als Tatortkommissar Roiter verläßt er sich natürlich auf „Indizien“ – erst recht, wenn sich die Messner als Forensische Psychiaterin Dr. Bubek lieber auf „Theorien“ versteift.

Folgerichtig ist denn auch eingangs erwähnter Höpke für Roiter der gesuchte Frauen-Mörder bzw. „eine Bestie“ und für Frau Dr. psych. ist er „ein Mensch“. Dabei ist Höpke nur ein armer Spanner bzw. Spinner bzw. der Schauspieler Oliver Stern, der – wetten? – vom Theater kommt („Hab' gemacht, daß sie still ist. Klebeband. (...) Hab' sie kleingemacht. In der Badewanne. Kleingemacht“, etc.). Aber der Serien-Killer weilt noch immer unter uns...

Puh, mag man da seufzen, hatten wir uns nicht schon letzte Woche beim „Jagdfieber“-Tatort extrem gelangweilt?

„Blick in den Abgrund“ ist der Aufguß x eines Kriminalpsychologen-Krimis: Die Psychologin zitiert Nietzsche-Aphorismen und hat rotes Haar und recht; der Kommissar begibt sich mit ihr auf Mördersuche, in Gefahr und ins Bett; und der Mörder ist angeblich geistreicher und herzloser als die Polizei (erlaubt), obwohl die Polizei in Wirklichkeit nur so herzlich geistlos ist wie das Schritt-für-Schritt- Drehbuch von Andreas Pflüger. „Schnitzeljagd“ – die Vokabel fällt nicht nur in Krimi und Pressetext, sie ist zugleich ein Armutszeugnis für den kriminologischen Dramaturgen.

Reicht doch der Erkenntniszuwachs des Schnitzeljägers immer nur bis zum nächsten Hinweis, immer nur so weit also, wie es dem Gejagten beziehungsweise dem Drehbuchautor gerade in den Kram paßt. Und wann immer keiner mehr weiter weiß, stolpert die Handlung einfach über eine neue Information. Was das Schnitzeljagen noch banaler macht als den ollen Kommissar Zufall.

Da muß sogar Jürgen Brauers immer wieder die alten Regie- und Bildausschnitt-Tricks (eine Mörderhand am Geländer, eine Rückansicht mit Perücke, verstellte Stimme und dergleichen) bemühen, damit der Zuschauer den Mörder nicht doch schon vorzeitig und versehentlich zu Gesicht bekommt.

Daß sich der Blick in den „Tatort“-Abgrund für wahre TV- Freunde dennoch lohnen könnte, liegt an nebenstehender Skizze, die der Kommissar nach verzweifeltem Griff zum Filzmaler anfertigt, um sich und Frau Dr. den verzwickten Stand der Dinge mal in aller Deutlichkeit vor Augen zu führen: „M“ steht für „Mörder“, „1“ für das erste Opfer, „2“ für das zweite und „3“ fürs dritte. Das hat echte B- Picture-Qualität (Kult!) – und gibt somit der (vom SFB finanziell begründeten) Entscheidung, den Tatort als scheppernd-zweidimensionales Video zu produzieren, dann doch noch eine inhaltliche Berechtigung. Christoph Schultheis