Auf keinen Fall auf Teufel komm raus

Nach 44 Jahren wollten die Kirchen das „Wort zum Sonntag“ erleuchten. Doch Küppersbusch-Experimente und Zuschauerforschung haben den Medienklerus beruhigt. Jetzt gibt es doch nur die sanfte Reform  ■ Von Georg Löwisch

Es geschah in Heiligengeistfeld in Hamburg-Ochsenzoll. An jenem 1. Mai 1954 soll Prälat Klaus Mund im Fernsehen ein Wort verlieren. Besinnlich soll es klingen und den Sonntag einleiten. Ein Wort zum Sonntag. Es ist der Moment, in dem der Prälat Fernsehgeschichte schreiben soll. Aber dann: Kabelbruch! „Auf Wiedersehen, Herr Mund“, haben sie ihm vermutlich gesagt, „Gott vergelt's, und leider, leider ist dann Pastor Peter Hans-Petersen von den Evangelen dran, wenn es nächste Woche wirklich losgeht.“

Derartige Dramen gab es um das „Wort zum Sonntag“ später nie mehr. Zwar wurde die ARD- Sendung zwischendurch mal kurz auf den Sonntag verlegt, und es gab Höhepunkte wie 1987, als der Papst die TV-Verkündigung murmeln durfte. Aber eigentlich sind es immer dieselben vier Minuten voller Lehre und Moral gewesen, immer im selben belehrenden Kanzeldeutsch. Und jeden Sonntagabend hat dieselbe blaue Tafel das „Wort zum Sonntag“ angekündigt, und eine Stimme hat gesagt: „Es spricht Pfarrer...“

Da ging das ZDF auf Sendung, und das Privatfernsehen wurde eingeführt. Da starb „Dalli Dalli“ mit Quizmaster Hans Rosenthal, und Robert Lembke nahm sein „Beruferaten“ samt Sparschweinen mit ins Grab. Selbst die „Tagesschau“, als einzige noch existierende Sendung älter als das „Wort zum Sonntag“, wechselte Wetterkarten, modifizierte den Trompeten-Jingle und das Hintergrundblau. Allein die „Fünf-Minuten- Terrine der Erbauung“ (Die Zeit) wollte sich nicht ändern. Bis jetzt.

„Indiskretionen“, sagt Reinhold Jacobi von der Deutschen Bischofskonferenz ärgerlich – wahrscheinlich von der evangelischen Seite. Nicht, daß diese „ganz prima Sendung“ nicht verbessert werden könne: „Ecclesia semper reformanda“, die Kirche muß sich immer wandeln. Aber Werkstattdiskussionen müßten in Ruhe geführt werden, bevor über die Dinge öffentlich geredet werde.

Das große Gerede von der großen Reform war plötzlich da. Da ließ die Zeitschrift TV Hören und Sehen ermitteln, „64 Prozent der Bundesbürger“ seien für den Fortbestand der Sendung, ohne daß sie irgendwer in Frage gestellt hätte. Der Spiegel sah sogar schon Talkshow-Pfarrer Jürgen Fliege am Sonnabend zur Prime time Gottes Wort verkünden. Kirchenkommissionen und ARD-Koordinierungskonferenzen debattierten und guckten Entwurfsfilme. Das „Wort zum Sonntag“, hieß es schon in einem Kommentar des Fachblattes epd medien, „ist nicht dazu verdammt zu bleiben, wie es ist“.

Womöglich war es die Doktorarbeit der Soziologin Ruth Ayaß, die die Sendung aus ihrem 44jährigen Schlaf riß. „Ältestes noch intaktes Fundstück“ der Fernseharchäologie, nannte Ayaß die Sendung liebevoll in ihrer Einleitung. Doch später schlug der Ton um: Mit der „primitiven“ Darreichungsform aus den 50ern komme die Sendung wie „Hörfunk mit Paßbild“ daher. Jedoch liege es nicht nur an der Übermittlung, sondern auch am Inhalt der Texte. „Keines der ,Worte zum Sonntag‘ kommt leichtfüßig daher.“ Inhaltsloser Auftakt, dann ein „Sinkflug“ über Jesus von Nazareth, bis dann der „abschließende Schlußakord wie eine Keule wirkt“. Dadurch schraubten die „kleinen Propheten“ den Interpretationsrahmen immer enger, und es werde immer unwahrscheinlicher, daß der Zuschauer die angebotene Lösung des Problems akzeptiere.

Eine weitere Schwierigkeit für Ayaß: Während die Sprecher den Zuschauer irgendwo „abholen“ wollten, wüßte der von Anfang an, wohin die Reise geht. Und könne „die ganze Veranstaltung als moralischen Weltanschauungsseufzer“ verstehen – oder als Parodie.

Die Fernsehbeauftragten der Kirchen staunten. Dann kam Bewegung in den Medienklerus. Das Gemeinschaftswerk der evangelischen Publizistik gab drei Projektfilme in Auftrag, einen davon bei der Produktionsfirma von Friedrich Küppersbusch: „Allen Filmen gemeinsam sollte sein, daß sie das Evangelium verfremdend und möglichst aktuell weitersagen“, hieß es. Es folgte eine Zuschauerumfrage der Medienforschung des Süddeutschen Rundfunks.

Die Ergebnisse paßten genau ins alte Bild der Kirchenleute. Küppersbuschs Firma engagierte Hartmut Thumser, Pfarrer und Mitglied der Punkrock-Band „Die groben Popen“. In dem Versuchsfilm illustrierte Thumser die Religionslehrerlieblingsfrage, ob es bei so viel Unheil überhaupt einen allmächtigen Gott geben könne, mit Katastrophenbildern im Videoclip-Schnitt. Da konnten sich die Kirchenredakteure- und beauftragten zurücklehnen: Das mit dem Thumser sei ja eine „schräge Nummer“, sagte etwa Johannes Huthmann, Kirchenredakteur beim Sender Freies Berlin, habe aber gezeigt, daß es auf das Wort ankomme: „Deswegen heißt es ja auch ,Wort zum Sonntag‘.“ Für die existentiellen Fragen müßten die Sprecher nicht „das Jesulein aus der Tasche ziehen“.

Zur allgemeinen Freude ergab die SDR-Befragung, daß die Zuschauer vor allem einen glaubwürdigen Sprecher und ein alltagsnahes Thema wollten. Schon gibt die evangelische Rundfunkbeauftragte Johanna Haberer die Devise von der „sanften Reform“ aus, und Ludger Verst von der Bischofskonferenz sekundiert: „Wir reformieren nicht auf Teufel komm raus.“

Ein wenig modern fühlen möchten sich die Kirchenleute aber doch. Von einer „Hotline“ wird gesprochen und ein paar „belebenden Bildern“. Johanna Haberer tritt immerhin für eine Professionalisierung der Sprecher ein: „Wir wollen eine erhöhte Medienkompetenz“, da hätte sie für die Schulung gern den Jürgen Fliege. Auch die Zahl der Sprecher soll reduziert werden.

Bisher werden immer je acht evangelische und katholische Kandidaten nach kompliziertem Landeskirchen- und Bistumsproporz benannt. Für das nächste Jahr soll eine professionelle sechs- bis achtköpfige Gruppe mit Wiedererkennungseffekt ausgesucht werden. Der SFB-Redakteur Huthmann ist schon hochmotiviert: „Casting, Casting, Casting“, predigt der 60jährige.