■ Frankfurt: Wie die Erinnerung an 1848 in Geschichtsklitterung endet
: Die Unfähigkeit zu feiern

Es ist eine Ironie, daß ausgerechnet in Frankfurt, der Stadt der Paulskirche, der „Wiege der deutschen Demokratie“, das Gedenken an 1848 zur Blamage wird. Geschichtsklitterung überall. Ein „Bürgerkomitee“ hat die Revolutionsfeier in die Hand genommen; angeführt von Lothar Gall, Hochschullehrer und Exponent des historischen und aktuellen Liberalismus. Nun steht ein „Revolutionsfest“ an. Ein Revolutionsfest? Eine Feierei mit Rock, Pop, Bratwurst und Äppelwoi. Zudem hat das Komitee eine Broschüre zum 150. Jahrestag der Eröffnung des Vorparlaments vorgelegt. Ein Satz in diesem Heft beschäftigt sich mit dem Vorparlament, der Rest sind Schmackerl über Mundartdichter: „Am 31. März trat in der Paulskirche das Vorparlament zusammen.“ Interessant.

Daß auf diesem Vorparlament die Liberalen die Weichen für die konstitutionelle Monarchie stellten, das braucht das Volk heute nicht zu wissen – jedenfalls nicht im CDU/SPD-regierten Frankfurt. Auf den Barrikaden hatte das Volk 1848 den Liberalen zwar das Forum Paulskirche abgerungen; doch seine Forderungen wurden grob zurückgewiesen. Keine Abschaffung der stehenden Heere der Fürsten, keine Volksbewaffnung, keine Republik. Die Liberalen erklärten die Revolution schlicht für beendet.

Die Liberalen von heute haben sich der Geschichte angenommen und sie zu ihrer erklärt. Und sie haben die Revolution zum zweiten Mal verraten – aktuell mit Gall in der Rolle des liberalen Konterrevolutionärs Heinrich von Gagern, dem Gall schon im vergangenen Jahr ein Denkmal an der Paulskirche errichten lassen wollte. So erfährt man in Frankfurt auch nichts über die Tragik der 48er Revolution. Nichts davon, daß nach dem Sieg der Konterrevolution auch einige brave Liberale standrechtlich erschossen wurden. Nichts davon, daß die Liberalen Biedermänner waren, wo sie hätten Revolutionäre sein müssen.

Der hessische Ministerpräsident Hans Eichel hat bemerkt, daß uns viel erspart geblieben wäre, wenn 1848 die Republikaner gesiegt hätten: vielleicht das militaristische Preußen, vielleicht das reaktionäre zweite Kaiserreich, vielleicht der Nationalsozialismus. Gewiß Hypothesen; aber keine abwegigen. Doch die SPD hat das Jubiläum der Revolte von 1848 glatt verschlafen; von den Grünen ganz zu schweigen. Das Erbe der 1848er will heute offenbar keiner haben – außer den Liberalen und den deutschen Professoren. Und die seien, schrieb ein Zeitgenosse 1848, schon immer „Deutschlands unseligstes politisches Element“ gewesen. Klaus-Peter Klingelschmitt