■ Für Schröder – so tönt es aus fast allen Medien. Daraus spricht das Bedürfnis nach einem starken Mann. Oder nach jemandem, der so tut
: Eine Deutschlandbeschimpfung

Über Gerhard Schröder wird in dem öden Wahlkampf, den wir noch erleiden müssen, nichts Neues mehr gesagt werden. Das aber wird man hundertfach und mit Nachdruck zu hören bekommen. In der Montage des Kandidaten wurde bereits fast alles ausgedrückt, was er bedeuten, was er repräsentieren wird. Mit dem zügigen Aufbau der Projektion Schröder und der kalkulierten Ausstattung ihrer Identität wurden, was die Person angeht, alle denkbaren Gegen- oder Alternativprojektionen ausgeschaltet. Und der Sache nach ist ohnehin alles auf widerspruchslose Einheit ausgerichtet. Es gibt, Tony Blair hat es schon präzise vorgesagt, nur eine Politik. Und die müssen alle vernünftigen Leute wollen.

Sie werden ihn also kriegen, ihren Schröder, schon weil sich die Demoskopie in diesen wenigen Monaten keine Abweichungen von ihrer selffulfilling prophecy mehr leisten kann. Auch die Medien, die sich in den letzten Wochen von Hamburg bis Frankfurt und München zum Unisono-Chor aufgestellt haben, können nicht mehr zurück. Was will Schröder, so fragten sie noch im Februar. Im März fragten die meisten nicht mehr danach. Es reicht ihnen nun schon, daß er will. Jetzt wollen Demoskopie und Medien nur noch den Winner. Und Schröder ist die Charaktermaske des Winner und des Willens als solchen. Eine bessere kann sich niemand mehr ausdenken. Hat er je höhere Ansprüche gestellt? Bei Lafontaine und bei Schäuble hätte man ja nie gewußt, ob sie nicht politisch doch etwas Ernsthaftes vorhaben.

Die Medien haben die Pro- Schröder-Falle selber hergerichtet und so haltbar gemacht, daß schon höhere Gewalt auftreten müßte, um den Kandidaten noch seinem Siege zu entziehen. Er selbst kann sich kaum noch beschädigen, und die mimetische Palette der Charaktermaske reicht wohl, damit man auf der Reststrecke nicht vor den Bildschirmen verhungern muß.

Sie werden ihn kriegen, ihren Schröder, und nur die Naiven werden sich dann wundern, daß unter ihm nichts Besonderes geschieht. Denn daß es mit ihm den Ruck gibt, den ebenfalls nur Naivlinge und Staatsredner erhoffen – dafür ist der Kandidat nicht aufgebaut, dafür ist das Gelände um ihn von jedem neuen Gedanken und von politischer Leidenschaft gründlich gereinigt. Wer sich mit Beratern wie Ron Sommer und Roland Berger schmücken läßt, von dem ist politische Tatenlust nicht zu befürchten.

Er wird, auch dies ein Grund für seinen Wahlerfolg, sicherlich harmloser sein als Blair, der Moralmensch ist und sich missionarisch zur einen und wahren Ordnung bekennt. Das geht Schröder ab. Blair hat bei aller glatten Höflichkeit mehr Neigung für Marktradikales als Schröder. Der hat es freilich mit einer egalitären und ehrgeizlosen Gesellschaft zu tun, die zwar den Marktpragmatismus schätzt, nicht aber marktreligiösen Eifer. Ihre Mehrheitsmittelklasse fühlt sich als Gesamtgemeinschaft von Sozialaufsteigern, von ihr weicht Schröder kein Jota ab. Er muß sich nicht zu edleren Reformzwecken bekennen wie Blair, der in seinem Wahlkampf verkündet hatte, er wolle so viele wie möglich von unten in die middle class emporziehen – ein Wahlziel, über das man auf dem Kontinent nur den Kopf schütteln kann.

Und auch dies ein Unterschied zu dem Briten: Schröder, das energische Kinn, wird nicht gewählt, um die vielgeforderte Vision zu formulieren, gar zu verkörpern. Schröder weiß das und hütet sich, etwas zu versprechen, das später verpflichten könnte. Aber darauf kommt es in Deutschland auch nicht mehr an. Die Wähler selbst wollen nichts mehr versprochen kriegen, und „Modernisierung“ ist gerade das richtige Signal für energiegeladene Unterlassung des Möglichen. Vom Nötigen nicht zu reden.

Nicht Schröder ist das Problem, sondern die Wähleröffentlichkeit, die ihn gesucht und gefunden und ihn sich zurechtgemacht hat. Die Wähleröffentlichkeit aber ist unauflösbar verschmolzen mit der demoskopischen und der Medienöffentlichkeit. Außerhalb davon gibt es kein Publikum der Bürger, das sich selber ausdrücken könnte, das eine eigene Sprache hätte. Das ist nichts Neues, aber mit dem Produkt Schröder wird die Vereinheitlichung der Medien bis an die Grenze ihrer Selbsterhaltung getrieben. Mit dem Schröder-Design vom Politiker, dem alle folgen, haben die Medien ihren Konkurrenzinstinkt lahmgelegt – ebenso wie es ihnen gelungen ist, und nicht etwa dem Kandidaten selber, die sozialdemokratische Partei mit einem Schlag verstummen zu lassen. Wo diese noch ein paar selbständige Köpfe aufweist, müssen sie, um nicht im Einheitsmatsch der Wahlwerbung zermahlen zu werden, sich einstweilen fernhalten. Diesen Mangel wird ohnehin niemand bemerken.

Die Person Schröder ist, entgegen manchem Anschein, weniger autoritär geladen als die Öffentlichkeit, die ihn sich wünscht. Auch dies ist wiederum vertrackt. Die Öffentlichkeit verlangt nicht nach der persönlichen Autorität, dem geprüften, kompetenten und zuverlässigen Lenker und Volksherrscher, sie verlangt nur den Anschein davon, die Attitüde. Dazu ist Schröder meisterlich begabt. Er muß deswegen kein Opportunist sein. Im Grunde ist er Industrialist geblieben und fühlt sich durchaus wohl im deutsch-sozialdemokratischen Korporatismus, den Kohl im letzten Jahrzehnt repräsentieren konnte.

Dieser deutsche Aufsteiger- Konservativismus drapiert sich heute mit den längst autoritär gewordenen Fetischwörtern von Wissens- und Informationsgesellschaft, von Innovation und Kreativität, von der Zukunft der Dienstleistungsgesellschaft. Daran berauschen sich heute auch – übrigens nicht zu ihrem medialen Vorteil – die dicken alten Männer der Staatsrepräsentation. Doch zeigt das nur, daß es keinen Konservativismus gibt, der noch über einen eigenen Ausdruck verfügte. Die nachgeahmte Modernität aber, die die angstkonservative Mehrheitsmittelklasse braucht, beherrscht Schröder weit besser als Kohl, der ihn deswegen auch zu fürchten hat.

Schröder stellt in aller Unbefangenheit den Konformismus seiner Machergeneration dar, der den allseits offenen und experimentierbereiten Individualisten verlangt. Er macht das so gut, daß man nichts gegen ihn haben kann – oder man hätte etwas gegen alle Deutschen und gegen alles Deutsche. Schröder, den deutschen Deutschen, von Herzen nicht zu mögen, hat Konsequenzen. Das will überlegt sein, wenn man in Deutschland nicht ganz am Rande leben will. Claus Koch