Jelzin hat das Ende seiner Ära eingeläutet

Mit der Entlassung der Regierung hat Rußlands Präsident die Finanzbarone gezwungen, ihre Position neu zu bestimmen. Sie hatten Tschernomyrdin zu ihrem Anwärter für das höchste Amt erkoren  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Mit einem Paukenschlag hat der russische Präsident Boris Jelzin den ambitionierten Bossen aus Finanz-, Medien- und Energiekonzernen demonstriert, wer zur Zeit noch Herr im Hause ist. Premierminister Wiktor Tschernomyrdin schickte er aufs Altenteil und zwang Rußlands selbstgefällige und mächtige Clans über Nacht, ihre Position neu zu bestimmen.

Wird die Machtfrage gestellt, kommt der kränkelnde Präsident augenblicklich wieder zu sich. Das Verhältnis der sogenannten Oligarchen, der sieben führenden Finanzbaronen, die Jelzins Wiederwahl 1996 finanzierten, zum Präsidenten hatte sich schon im vergangenen Herbst eingetrübt. Mogul Boris Beresowski gelang es indes, seine privilegierte Stellung zu wahren und als Transmissionsriemen eines Teils der Finanzelite zu wirken. Er beriet nicht nur den Chef der Präsidialverwaltung Walentin Jumaschew, sondern unterhielt auch enge Kontakte zu Tatjana Djatschenko, Tochter und Beraterin Jelzins. Der Eindruck mußte entstehen, Rußlands neue Finanzelite habe mit ihr eine direkte Fürsprecherin in der Präsidialkanzlei.

Mit der Entlassung der Regierung Tschernomyrdin letzte Woche hat auch das Verhältnis zwischen dem Präsidentenapparat und Beresowski Schaden erlitten. „Man hat begriffen, welches Risiko es birgt, alles auf ein Pferd zu setzen“, hieß es im Umkreis eines entlassenen Ministers. Der Apparat des Präsidenten macht sich offenkundig seit längerem Gedanken über die eigene Zukunft. Was passiert, wenn Jelzin im Jahr 2000 nicht mehr kandidiert? Tschernomyrdin, der als Premierminister unter strenger Observanz der parallelen Strukturen der Präsidialverwaltung zu leiden hatte, würde die alte Mannschaft mit Sicherheit nicht übernehmen. Ihn erkoren die Finanzmagnaten im Januar indes zu ihrem Anwärter. Und war es nicht Sergej Jastrschemski, Pressechef und außenpolitischer Berater Jelzins, der im Herbst in der Öffentlichkeit Überlegungen anstellte, einer dritten Amtsperiode des Kremlchefs stünden verfassungsrechtliche Bedenken nicht entgegen? Sicherlich hat Jelzins Küchenkabinett den Ärger des Zaren über den frühzeitigen Höhenflug seines Premiers nicht eilfertig zerstreut.

Es sähe dem machtbewußten Jelzin nicht ähnlich, wenn er auf halbem Wege haltmachte. Beresowski muß sich auf einen Vergeltungsakt einstellen. Schon schüren seine Medien bewußt soziale Unruhe und säen Zwietracht.

Auf welchen Nachfolger sich die Finanziers verständigen, sollte Jelzin tatsächlich fristgemäß Abschied nehmen, steht nunmehr in den Sternen. Tschernomyrdin hätte ihnen das wichtigste Anliegen garantiert: Schutz des Eigentums, egal wie es einmal zusammengeklaubt wurde. Und auch ein politisches Mitspracherecht hätte er ihnen gewährt. Andere potentielle Anwärter, Alexander Lebed und Grigorij Jawlinski, die mit nennenswerter Unterstützung der Wähler rechnen können, sind da eher unsichere Kantonisten. Moskaus dirigistischer und herrischer Bürgermeister Jurij Luschkow dürfte den wesensnahen Oligarchen eher ein Dorn im Auge sein.

Schließlich wäre es auch denkbar, daß sich die Bankiers auf keinen gemeinsamen Kandidaten einigen und auf mehrere Pferde setzen. Das entspräche eher dem harten Konkurrenzkampf, der mittlerweile unter ihnen um die letzten lukrativen Beutestücke aus dem Staatseigentum entbrannt ist.

Konzentrationen und Fusionen sind in vollem Gang. Der Chef der Menatep-Bank, Michail Chodorkowski, die SBS-Agro-Bank mit Alexander Smolenski, der Kopf der Most-Gruppe und Medienmogul Wladimir Gusinski taten sich erfolgreich zusammen, um Beresowski gegen Kontrahent Wladimir Potanin vom Oneksim-Imperium zu stärken. Beide hatten es auf den Ölkonzern Sibneft abgesehen. Das Rennen machte Beresowski, der den Neuerwerb sogleich mit dem Ölproduzenten „Yukos“ zu Rußlands größtem Ölkonzern „Yuksi“ zusammenschloß, der über Ölreserven von 3,2 Milliarden Tonnen verfügt und ein Drittel der gesamten russischen Jahresförderung abdeckt.

Unterdessen verhandelt Potanin noch mit dem Konzern „Lukoil“ über eine mögliche Fusion mit seinem Unternehmen „Sidanco“. Käme das Geschäft zustande, wäre die neue Fusion noch kapitalstärker als Beresowskis „Yukai“. Die hektische Verschmelzung sollte nicht nur die Startposition für die Präsidentschaftswahlen sichern. Die Leidenschaften der „Bisnessmeny“ konzentrieren sich vor allem auf den staatlichen Ölkonzern „Rosneft“, dessen Privatisierung die Oligarchen seit Monaten fiebernd erwarten. Immer wieder verschob die Regierung ihr Vorhaben. 75 Prozent der Aktien wollte der Staat für 4 Milliarden Mark zu veräußern. Beresowski schäumte, ihm war der Preis entschieden zu hoch. Den Zuschlag schien der Energiegant „Gasprom“ davonzutragen, nicht zufällig die Hausmacht Tschernomyrdins.

Setzt sich Boris Jelzin in der Duma durch, überwacht der neue Premier Sergej Kirijenko die nächste Auslobung. Der 35jährige Technokrat, ohne Bindung an eine Partei oder eines der wuchernden Industriekonglomerate, muß bisher keine Rücksichten nehmen. Staatsbetrieb Gasprom, der immerhin ein Viertel des russischen Budgets einspielt, erlitt eine dreifache Schlappe: mit dem Premier verlor er zugleich den Präsidentschaftskandidaten und die Aussicht auf ein einträgliches Geschäft.

Daß die Duma nach einigen Volten Jelzins Wünschen nachgibt, gilt unterdessen als ausgemacht. Die zahnlose Volksvertretung, der die Auflösung droht, sollte sie den Kandidaten des Präsidenten dreimal ablehnen, findet an dem Gedanken an vorgezogene Neuwahlen keine rechte Freude. Die Kommunisten müßten Sitze an die radikalere Linke abtreten, und Chauvinist Schirinowski fände nur auf der Besuchertribüne Platz.

Jelzin kann den Oligarchen Paroli bieten. Doch will er es überhaupt, und reichen die Kräfte noch? Bisher behandelte er sie im Konfliktfall eher pfleglich. Wenn der Präsident nicht gedenkt, noch einmal zu kandidieren, was hält ihn dann von rigideren Maßnahmen ab, die Verflechtung von Politik und Kapital zu entwirren?

Vizepremier Boris Nemzow hatte er es im Herbst in die Kladde diktiert. Der Zögling tat, was in seiner bescheidenen Macht stand. Vor kurzem lud er zu einem Kongreß: „Rußlands Zukunft – Oligarchie oder Demokratie“. Die zum Tribunal geladenen Financiers ließen sich alle glaubwürdig entschuldigen. Selbst Wladimir Potanin, einziger Banker, der sich für die Idee des von Nemzow propagierten Gegenmodells eines „Volkskapitalismus“ erwärmen kann, blieb der Debatte fern.

Nemzows liberaler Sozialstaat ist indes noch weit von russischer Realität entfernt. Zwar wachsen die Mittelschichten, doch hemmt die korrupte und hypertrophe Bürokratie das Fortkommen, indem sie jedes Wirtschaftssubjekt durch ihr enges Nadelöhr zwingt. Auf diesem Nährboden gedeihen Oligarchien prächtig. Hier hätte das Messer anzusetzen. Mit Vollzug ist erst in der Ära nach Jelzin zu rechnen. Deren Ende hat der Präsident mit der Entlassung des Premiers selbst eingeläutet.