Geköpfte Hähne, stinkende Ratten

■ Appell an alle Sinne: Johann Kresniks nur ein bißchen ekliges „Subúrbio/Niemandsland“am Schauspielhaus

Allein sein zu dürfen ist ein Privileg. Folgerichtig also, daß es in Subúrbio/Niemandsland keinen Platz gibt, an dem sich die Armseligen vor ihrer Misere verstecken könnten. Ein altes Ehepaar und ein kleines Mädchen kriegen auf der Bühne des Schauspielhauses einen Spielplatz, in dem sie sich anstatt mit Sand mit leeren Plastik-Wasserflaschen bewerfen. Auf dem Umlauf sperren acht ungebetene Zeugen und ein Ackordeon-Spieler Augen und Ohren auf: offenbartes Elend im öffentlichen Raum.

Der brasilianische Autor Fernando Bonassi, der für Regisseur Johann Kresnik auch die Bühnenfassung seines 1994 erschienenen Romans Subúrbio schrieb, sieht das europäische Bild seines Landes auf zwei gegensätzliche Klischees reduziert. Entweder werde nur die materielle Armut oder die Dreieinigkeit aus „Fußball–Samba–Karnevall“beachtet. Seine Tragödie sei dagegen jenseits der Realität angesiedelt. Von Kresniks choreographiertem Theater versprach sich Bonassi eine adäquate Umsetzung seiner aus den Köpfen der Elenden heraufbeschworenen fanatischen Bilder.

Die waren bei der Premiere am Samstag auch wirklich zu sehen, eingebettet in eine publikumsfreundliche Erzählweise. Ganz deutlich, mit vielen Rückblenden, unterbrochen von mal hektischen, mal zeitlupenartigen Tanz-Szenen, wurde der unheilvolle Verlauf der Romanze eines Greises mit einer Zwölfjährigen dargestellt. Was als Traum von einer besseren Welt beginnt, endet für das ungleiche Paar tödlich. Der Alte erwürgt und mißbraucht das Mädchen und wird selbst von den lynchwütigen Nachbarn erschlagen.

Die Bühne von Penelope Wehrli schuf die Voraussetzung für ein Theater, das an alle Sinne appelliert. Sie ließ über den Köpfen der Darsteller 200 Ratten in durchsichtigen Gängen umherlaufen, Tiere also, die bekanntlich ziemlich stinken. Überhaupt nahm das Eklige einen breiten Raum ein. Aufgeplatzte Kotbeutel, ein Hahn mit abgebissenem Kopf, die zermatschte Leiche eines Neugeborenen: Die meisten Szenen endeten mit Paukenschlägen. Doch der Aufwand reicht nicht aus, um wirkliche Schockeffekte zu erzeugen: Dazu waren die Bilder zu übertrieben. Die stärkste Wirkung entfalteten die romantischen Passagen, und dafür ist in erster Linie Werner Rehm und sein von Jesus, seiner Frau (ebenfalls sehenswert: Lore Stefanek) und der ganzen Welt verratener Alter verantwortlich.

Die Ratten haben es auch gemerkt und sich schnell zusammengekuschelt. Das Publikum war gespalten: Buhs und Bravos waren in gleicher Lautstärke zu hören. Mehr konnte sich Johann Kresnik eigentlich nicht wünschen.

Barbora Paluskova

April-Termine: Di, 7., 20 Uhr; Fr, 10., 19 Uhr; Fr, 17., 19.15 Uhr; Di, 28., 20 Uhr