Pobacken in Gips

■ Tattoo Total: Die 2. Bremer Tattoo Convention eröffnete im Pier 2 den Blick auf viele bunte und durchlöcherte Hautpartien

Wer „A“sagt, muß auch „utsch“sagen. Zumindest dann, wenn er oder sie eine jener wie Pickel aus der talgigen Haut sprießenden ZehnAnbieterauselfLändernpräsentierenheuteundmorgen“-Ausstellungen besucht, die sich ausschließlich dem Thema Tattoo und Piercing widmet.

Es war nicht etwa so, daß, wie es der große philosophierende Tattoopapst Immanuel Kant formuliert hätte, ein vom interesselosen Wohlgefallen durchwirkter Spaziergang über „Tattoo Total“, der 2. Tattoo Convention im Pier 2, in einer Zwangsbehandlung durch die allgegenwärtigen BesitzerInnen surrender Tätowiermaschinen gemündet wäre. Und ein niemand mußte befürchten, die Zuschaustellung großer weißer Hautpartien werde als unästhetische Beleidigung betrachtet und erfahre postwendend eine ästhetische Korrektur durch farbige Nadelstiche. Die Community widmete sich mit Akribie ausschließlich den zahlreichen Tätowierwilligen und demonstrierte ansonsten in dieser Branchenleistungsschau, wie es die Firma „Hautreiz“formulierte, ihre „Kompetenz, die unter die Haut geht.“

Abgerissene Armstümpfe, aus Kokosnußkokons herausfaulende matschige Gesichter oder lange Dornen, auf denen im Wechsel aufgespießt Gliedmaßen und Augen ein pittoreskes Ensemble bildeten: Bei längerem Studium eines nicht unbedeutenden Teils der in ausliegenden Foto- und Skizzensmappen dargebotenen Tattoomotive wuchs die Überzeugung, daß man den Menschen, die sich derartig kranke Dinge freiwillig auf die Haut auftragen lassen, nur mit entsichertem Langstreckenbomber in der Tasche begegnen möchte. Welch Lichtblick in diesem schäbigen Massaker war da der pummelige Friedrich, der sich postkartengroß ein Foto der Liebsten auf den Arm hatte pieksen lassen. Den Wettbewerb „Contest best black and grey“gewann er damit zwar nicht, aber unser Herz – noch wie irr Blut pumpend, aus dem offenen Brustkorb und der Auslage des Tätowierers „Crazy Walter“herausgerissen – flog ihm mitten ins vor Liebesglück strahlende Gesicht.

Während PPP (der italienische Pimmelpiercer Paolo) im Gespräch mit der Nachbartätowiererin an seinem Stand die Vorzüge des Beischlafs mit durchnadeltem Glied prieß, empfahl einige Tische weiter Bildhauer Oliver Pohl, sich die Wohnung mit Gipsabdrücken von Brüsten, Hintern, Vaginas und Penissen zuzustellen. Doch mehrere hundert Mark auszugeben, nur um sich seinen Arsch in Gips anzusehen, schien auf wenig Begeisterung zu stoßen. Zumindest litt der Herr Bildhauer nicht an Überarbeitung.

Anders hingegen die Lage vor Hoschis Stand, der die banale Erkenntnis zu nutzen wußte, daß, wenn die gepiercten Geschlechtsteile einer Tattoofrau und eines Tattoomannes trotz der zahlreichen Metallbarrieren zueinander finden, dies zuweilen Lebewesen hervorbringt, die keine Tattoos am Leibe tragen. Ein inakzeptabler Fehler im genetischen Code des Homo sapiens, den, solange die BiotechnologInnen keine Abhilfe schaffen, Menschen wie Hoschi korrigieren müssen. Und ein Blick in die stolz geschwellten Augenpartien jenes Elternpaares, das zusah, wie Hoschi ihrem BVB-befrackten kleinen Sohn ein keltisches Motiv auf den Arm malte, machte deutlich, wie wichtig es ist, daß diese Angebotslücke geschlossen werden konnte.

Weitaus weniger einsichtig hingegen war die zwischenzeitliche Showdarbietung von Jenny und Diana. Zu mit spanischer Folklore durchzogenen Discoklängen entledigten sich die beiden Frauen inmitten einer dicken Kunstnebelwand ihrer Kleidungsstücke. „Später gibt es noch viel mehr zu sehen“, geilte der Moderator dem desinteressierten Publikum ins Mikrofon. Solche Typen sind es, die unter ihren unschuldigen Hawaihemden verfaulte Schädel und Augenspieße auf der Bauchdecke haben. Jede Wette. zott