„Erpressung unter Kindern nimmt zu“

■ Aus Angst vor brutalen Jugendlichen blieb ein Bremer Schüler wochenlang unbemerkt der Schule fern

Andi Herzog ist Peter Schmidts* großes Vorbild. Doch der Traum des Bremer Jungen, selbst mal ein großer Fußballer zu werden, ist vorerst zerplatzt. Obwohl Peter als Fußballtalent eigens für die Nachwuchsförderung ans Schulzentrum Obervieland (siehe auch Kasten Seite 22) gewechselt war, verließ er die Schule nach kaum einem Monat. Selbst das Vereinstraining gab er auf, nachdem er wochenlang das Opfer einer erpresserischen Jungengang war. Von der Schule hat er seither nichts mehr gehört. Nur der Fußballtrainer rief noch einmal an, um nach dem Jungen zu fragen, berichtet die Mutter, Marie Schmidt.

„Was hätten wir tun sollen, wir wußten ja nichts von den Vorkomnissen“, sagt Schulleiter Wilfried Eitmann. Er habe davon erst erfahren, als Peters Mutter ihm mitteilte, daß der Junge an seine alte Schule in Blockdiek zurückkehren werde. Im Rückblick sagt der Rektor: „Dieser Fall hätte so nicht laufen müssen.“Doch die Schule könne erst handeln, wenn die Opfer sich offenbaren. „Dann reicht unser Arm auch oft über das Schulgelände hinaus.“

Einen solch starken Arm hätte der kleine Peter bitter nötig gehabt. Die vierköpfige Bande junger Männer zwischen 14 und 17 Jahren, die ihn terrorisierte, hatte ihn auf dem Heimweg zur Bahn immer wieder abgepaßt. Selbst wenn er Umwege ging. Gleich beim ersten Mal schlugen sie zu. „In den Magen, wohl damit niemand etwas sieht“, sagt Peter, dem es noch Monate später schwerfällt, von den Überfällen und der Erpressung zu reden. Warum er immer geschwiegen hat? „Das weiß ich nicht“, sagt er. Und dann: „Ich hatte Angst.“

Der Junge hatte Grund zur Angst. Die Bandenmitglieder hatten ihm mehrmals Schußwaffen unter die Nase gehalten. Daß die echt waren, daran zweifelte Peter nicht. Und trotzdem – als die Bande ihn zum Klauen in einem Supermarkt zwang, flüchtete er durch die Hintertür. Danach fuhr er nie wieder nach Obervieland zur Schule.

Zwei Wochen fehlte Peter im Unterricht. Keiner seiner Lehrer erkundigte sich nach dem Verbleib des Sechstklässlers. Marie Schmidt ist darüber verärgert. „Man hatte uns gesagt, die Sportschüler würden besonders betreut“, sagt sie. Darauf habe sie sich verlassen, als sie dem Schulwechsel ihres Sohnes zustimmte – und damit auch der zusätzlichen Belastung durch den fast zweistündigen Schulweg zwischen Blockdiek und Obervieland.

„Daß etwas nicht stimmte“, merkte die Umschülerin, nachdem ihr Sohn trotz Nachmittagsunterrichts jeden Tag vor ihr zu Hause war. Sie blieb daraufhin heimlich daheim – und überraschte Peter, als er um zehn Uhr morgens die Haustür aufschloß. „Wir müssen mal miteinander reden“, habe sie gesagt. Peter brach in Tränen aus und erzählte. Anzeige erstatteten Mutter und Sohn nicht. „Die kennen doch meine Adresse“, fürchtet Peter die Bandenmitglieder.

Der Schulleiter teilt diese Auffassung nicht. Im letzten Jahr hat er zwei Schüler der Schule verwiesen. In diesem Jahr auch schon. Um Verfehlungen zu ahnden, hält das Kollegium häufiger „Klassenkonferenzen“ab. Schüler werden dann in andere Klassen versetzt oder zu Strafarbeiten verdonnert.

In wievielen Fällen es Kindern seiner Schule so ergeht wie Peter Schmidt, weiß Eitmann nicht. Eine Statistik über den „Tatort Schule“werde nicht geführt - auch nicht in der Bremer Kriminalstatistik. Allerdings habe es in der letzten Zeit vermehrt Fälle von Erpressung gegeben, sagt der Schulleiter. „Wenn die Opfer sich an uns gewendet haben, konnten wir das meist schnell stoppen. Die Täter suchen sich immer schwache Opfer.“ ede

*Name geändert