Mit viel Huschhusch und auch Gewitter

■ „Washington Square“: Agnieszka Hollands Verfilmung des Romans von Henry James

Literaturverfilmungen sind das eine, Kostümfilme das andere. Sie hängen zusammen wie Kain und Abel. Meist wird die Literatur beim Verfilmen vom Kostüm erdrückt. Der Konflikt besteht zwischen Dekor und Inhalt. „Die drei Musketiere“ zum Beispiel ist, wie jeder weiß, ein Roman von Alexandre Dumas, der oft verfilmt wurde. Dennoch freut man sich immer wieder an den Variationen des dampfenden Dekolletés von Lady Winter, die die Filmgeschichte hervorbringt. Das liegt daran, daß die großartige Trivialität des Romans der des Filmgenres völlig entspricht. Einer für alle, alle für einen! Doch flugs zur Hochkultur.

Zählen wir: „Portrait of a Lady“, „Die Flügel der Taube“ (demnächst) und „Washington Square“. Mit drei Verfilmungen in zwei Jahren hat Henry James in etwa mit John Grisham gleichgezogen. Was bedeutet das? Nichts weiter, als daß es unterm Kinopublikum neben anderen Fraktionen auch eine Anwälte-Hohes-Gericht-Fraktion und eine Krinolinen-Cul-de-Paris-Fraktion gibt. Mit James, Grisham, Hoch und Tief hat das nicht viel zu tun.

Agnieszka Hollands Neuverfilmung von „Washington Square“ beweist es. Henry James hat „Washington Square“ im Jahre 1880 veröffentlicht. Der Roman spielt um 1850 in New York und handelt vom Verlangen einer Frau, um ihrer selbst willen geliebt zu werden – ein Anspruch, dem Konventionen und Vorteilsdenken entgegenstehen. William Wyler hat James' Roman 1949 verfilmt – nicht ganz getreu der Vorlage, aber definitiv. Olivia de Havilland gewann einen Oscar in der Hauptrolle.

Hollands „Washington Square“ eröffnet mit dem Blick auf eine präraffaelitisch-schöne Leiche. Mrs. Sloper stirbt bei der Geburt ihres ersten Kindes. Den Tod, mithin den Verlust von Liebe und Jugend, lastet der Arzt Austin Sloper (Albert Finney) seiner Tochter an, die sich in Folge ihr Lebtag vergeblich darum bemühen wird, seine Vaterliebe zu wecken. Dennoch läßt das Mädchen nicht nach in seinem Eifer. Als Kind ein Dickerchen, erblüht Catherine Sloper zur gelbgesichtigen wie vorzeitig erloschenen jungen Frau. Catherine verliebt sich in einen schönen Leichtfuß (Ben Chaplin), den ihr Vater für einen Mitgiftjäger hält. Dr. Sloper enterbt Catherine, als sie auf ihrer Liebe beharrt, woraufhin sie prompt von ihrem Liebhaber verlassen wird.

Das physiognomische Material für die Rolle der Catherine bringt Jennifer Jason Leigh mit, die Fachkraft für Misfits. In „Georgia“ klang an, was in „Washington Square“ voll ausgeprägt ist – Leighs Hang zum technischen Formalismus. Leigh macht Catherine Sloper zu einer mäßig bemitleidenswerten Figur. Das ist zunächst gut, denn Mitleid führt, dramaturgisch betrachtet, erst einmal zu nichts. Inmitten all der frischen Anmut, der zierlichen Rede und des guten Geschmacks, mit denen Alters- und Geschlechtsgenossinnen die Gesellschaften zieren, wird Catherine als Mauerblümchen in die Gesellschaft eingeführt. Die Blicke hinter ihrem Rücken verdankt sie ihrem Aussehen – die Vorsicht ihr gegenüber dem Umstand, eine reiche Erbin zu sein.

Na und, denkt man, soll Catherine doch einen Mitgiftjäger heiraten, wenn sie eben will. Diese Ungerührtheit trifft das Hauptproblem von Hollands Film: seine Unfähigkeit, Catherines Dilemma als etwas Modernes zu präsentieren. Eher beiläufig fällt in diesem Zusammenhang auf, daß das amerikanische Gegenwartskino sich mit Thriller, Komödie, Science-fiction und Horror am wohlsten fühlt. Hochliteraturadaptionen in Hollywoodstudios entstehen derzeit vornehmlich in Regie von Nichtamerikanern. Dieser Konflikt zwischen alter und neuer Welt würde Henry James, der seine Heldin Catherine nach Europa schickt, nicht wundern.

Das Buch „Washington Square“ ist nicht exakt das, was man unter einem Abenteuerroman versteht. Dazu kommt, daß Holland („Hitlerjunge Salomon“) auf den redundanten, aufgeblähten Merchant-Ivory-Pomp setzt, der schon zu Zeiten seiner Erfindung in den achtziger Jahren berüchtigt war. In Hollands „Der geheime Garten“ funktionierte die Deckungsgleicheit von Atmosphäre und Botschaft light. Es war ein romantischer Kinderfilm.

Die Anstrengung um die Produktion und gleichzeitige Kontrolle von Gefühlen, denen man die Mühen nicht anmerken soll, ist Hollands neuem Film nur zu deutlich anzumerken. Es gibt zwar viel Huschhusch, wohl auch Gewitter und verzweifeltes In-den- Schlamm-Werfen, aber kaum Bewegung. Wann ist Catherine die selbstbewußte Frau geworden, die am Ende beim Spielen mit fremden Kindern gezeigt wird? Anke Westphal

„Washington Square“. Regie: Agnieszka Holland. Mit Jennifer Jason Leigh, Maggie Smith, Ben Chaplin. USA 1997, 115 Min.