Der Türke darf Mörder sein

■ Wer löst ihn ein, den "Programmauftrag: Interkulturelles Fernsehen"? Ein "Tatort"? Die offenen Kanäle? - Eine Fachtagung sucht Antworten

Über sieben Millionen Ausländer leben in Deutschland. Sieben Millionen, die mit ihren Rundfunkgebühren die öffentlich-rechtlichen und dem Konsumverhalten indirekt die privaten Sender mitfinanzieren. Und was kriegen sie für ihr Geld? Eine mediale Grundversorgung in der Lingua franca des Landes, also in Deutsch. Das ist zuwenig, finden das Adolf-Grimme- Institut, die IG Medien und das ZDF und luden deshalb zu einer Fachtagung „Programmauftrag: Interkulturelles Fernsehen“ nach Mainz.

Es hätte eine spannende Tagung werden können, hätten die Teilnehmer nur den Ball aufgegriffen, den der Medienjournalist Volker Lilienthal mit seinem Vortrag in die Runde geworfen hatte. Lilienthal vertritt die Auffassung, daß zumindest in den öffentlich- rechtlichen Rundfunkanstalten zuviel des Guten getan wird, fast täglich Sendungen laufen, die den Deutschen einen Spiegel vorhalten, wie gemein sie doch mit ihren lieben ausländischen Mitbürgern umgehen.

Interkulturell-TV ist meist Laienfernsehen

Wenn Diskriminierung zum Dauerthema gemacht wird, so Lilienthal, habe dies durchaus etwas von gesinnungsethischer Folter an sich. Ein Fernsehen, das sich dem Prinzip der Toleranz verschreibt, darf nicht so tun, als sei der Fremde gar nicht so fremd und diesem mit fataler Gleichmacherei die Würde nehmen. „Toleranz“, so wußte Alexander Mitscherlich schon 1974, „vereinheitlicht nicht, sie ebnet nicht ein. Sie läßt Gegensätze bestehen.“ Vor allem bedeutet Toleranz nicht, den eigenen Interessenstandpunkt aufzugeben, sie ist nicht Interessenlosigkeit des Laisser-faire, sondern kritische Selbständigkeit in Konkurrenz und Konfliktsituationen.“

Und wie sieht nun eine durchschnittliche interkulturelle Fernsehwoche aus. Folgt man der Analyse Lilienthals, recht grauenhaft. Im Laienfernsehen, in diesem Fall dem Offenen Kanal (OK) Frankfurt/Offenbach, kommt die deutsche Sprache kaum vor, statt dessen herrscht babylonische Sprachverwirrung. Fundamentalistische Staaten mißbrauchen das von seiner Idee her demokratische Forum OK für anti-westliche und anti-demokratische Demagogie. Auf wenig Zustimmung stieß die Frage, ob interkulturelles Fernsehen nicht auch ein bißchen ein Programm der Integration sein sollte und die deutsche Sprache dabei nicht vielleicht ganz hilfreich sein könnte.

Ebenso unbeachtet verhallte der gar nicht so dumme Hinweis: Sind am Ende nicht nur die Deutschen, die vom friedlichen Zusammenleben mit Einwanderern überzeugt werden sollen, eine Zielgruppe, sondern gerade auch die Einwanderer selbst, denen erstens die Sprache, zweitens die Verkehrsformen und drittens die sonstige Kultur des Gastlandes und vielleicht werdenden Heimatlandes beigebracht werden sollten?

Freunde macht man sich mit solchen Fragen nicht und offensichtlich im öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch kein Programm. Mit wenigen Ausnahmen reflektieren die auf ZDF und ARD gesendeten Beiträge zum Thema Ausländer eine Haltung, die keinen Zweifel daran läßt, daß die Macher sich in der Rolle des Gerechten und Volkspädagogen recht gemütlich eingerichtet haben.

Da werden multikulturelle Idyllen gepinselt, und glaubt man offensichtlich auch Ende der neunziger Jahre noch, Fremdenfeindlichkeit könne sich durch gutes Zureden in Mißverständnisse und Lernprozesse auflösen. Was fehlt, sind Beiträge, die die Widersprüchlichkeiten und Konflikte der entwickelten multikulturellen Gesellschaft thematisieren.

Im fiktionalen Bereich scheint man inzwischen immerhin bereit, sich langsam den Realitäten anzunähern. Mußten in den Krimis der Vergangenheit in der Regel Deutsche oder Skinheads die Bösen sein, der Ausländer auf jeden Fall das beklagenswerte Opfer, ist nun ein Tabu gebrochen.

In dem vom Bayrischen Rundfunk am 1. März ausgestrahlten „Tatort“ „In der Falle“ durfte ein Türke endlich einmal auch ein Mörder sein. Und in dem am 26. April von Radio Bremen gesendeten „Tatort“ „Brandwunden“ werden Skinheads erstmals nicht nur Täter, sondern auch Opfer von Selbstjustiz türkischer Jugendlicher sein.

Es fehlt der türkische „Tagesschau“-Sprecher

Spannend hätte die Diskussion um das Thema „Interkulturelles Fernsehen“ also sein können, so spannend wie die interkulturelle Gesellschaft ist, wenn sie nicht mit Scheuklappen betrachtet wird. Aber wie meist beim Thema Ausländer, verlor sich auch diesmal die Debatte schnell im Prinzipiellen und strandete in allzu seichtem Gewässer. „Die Ausländer kommen in der Berichterstattung zuwenig in ihrer Normalität vor“, meint die eine. „Man muß doch einmal festhalten, daß die Berichterstattung Stereotypen festschreibt“, beklagt der nächste. Unvermeidlich, daß sich eine Sprachpolizistin zu Wort meldet und mahnend mit dem Zeigefinger herumfuchtelt: „Also der Begriff ausländische Mitbürger, der ist...“ Das ist der unvermeidliche Übergang zur unvermeidlichen Forderung, die seit nunmehr zehn Jahren durch die Diskussion geistert: „Wann gibt es in Deutschland endlich einen ,Tagesschau‘- Sprecher türkischer Herkunft?“ Hoffentlich bald, möchte man entgegnen, damit das Fernsehen zum Spiegelbild der Gesellschaft wird – und dieser nationalistische Unfug sein Ende hat. Thomas Gottschalk hat jüngst bewiesen, wie wenig es bedarf, um die Befindlichkeiten der Minderheiten zu befriedigen. Das Saalpublikum der letzten „Wetten, daß...?“-Show erhob sich nach seiner Aufforderung, um respektvoll der türkischen Nationalhymne zu lauschen, intoniert von einem Schweizer. Wie vielen Türken dieses Ereignis Tränen der Rührung entlockt hat, ist nicht bekannt. Auf alle Fälle ist Gottschalk ein Platz im türkischen Olymp gesichert. So einfach kann interkulturelles Fernsehen sein. Eberhard Seidel-Pielen