Armeechef nach Teilnahme an SS-Marsch gekippt

■ Massive Auslandskritik zwingt Lettlands Regierung, antisemitische Aktionen ernst zu nehmen

Stockholm (taz) – Mehrere Sprengstoffanschläge auf eine Synagoge und ein Treffen von SS-Veteranen haben in Lettland den Armeechef und den obersten Polizeichef ihre Ämter gekostet. Armeechef Juris Dalbinsh mußte gehen, weil er an dem Marsch am 16.März persönlich teilgenommen hatte. Auch Polizeichef Aldis Leiljuksis war in der ersten Reihe bei diesem Treffen mitmarschiert – und seine Polizei erwies sich am Donnerstag vergangener Woche bereits zum zweitenmal als unfähig, einen Sprengstoffanschlag auf Rigas Synagoge zu verhindern.

Jüdische Kreise in Lettland sehen den Anschlag denn auch als unmittelbare Folge des Marsches der SS-Veteranen. Denn den hatte die Regierung auch noch verteidigt: Ausländischen Kritikern des SS-Treffens hatte Staatspräsident Guntis Ulmanis zunächst vorgehalten, „die komplizierte Situation in Lettland in der damaligen Zeit nicht verstehen“ zu können.

Während der Zeit der Nazi-Okkupation des Landes wurden etwa 90 Prozent der lettischen jüdischen Bevölkerung umgebracht. An den grausamen Massakern nahmen auch lettische SS- und Milizverbände teil. Zum Teil waren diese von Hitlers Besatzern zwangsrekrutiert worden, zum größten Teil aber handelte es sich um Freiwillige. Die lettischen SS-Veteranen selbst rechtfertigen sich damit, sie seien keine Anhänger Hitlers gewesen, sondern Freiheitskämpfer gegen die Sowjetunion.

Der plötzliche Schwenk von Präsident Ulmanis, der die Entlassungen in einer Radioansprache bekanntgab und persönlich die Botschafter der westlichen Länder informierte, soll offenbar weiteren Schaden für das Ansehen Lettlands im Ausland abwenden. Angesichts neuer Spannungen mit Rußland, das mit wirtschaftlichen Sanktionen droht, sollten die rund 500.000 russischen BürgerInnen in Lettland nicht endlich lettische Pässe erhalten können, ohne schwere Sprach- und Geschichtsprüfungen absolvieren zu müssen, will der lettische Präsident keinen weiteren Ärger.

So versucht Riga, mit den Personalentscheidungen der Gefahr entgegenzuwirken, sich wegen unklarer Haltung zu antijüdischen Aktivitäten von Europa zu isolieren und selbst innerhalb des Baltikums an den Pranger gestellt zu werden. Vytautas Landsbergis, einst führender baltischer Freiheitskämpfer und jetzt Parlamentspräsident Litauens, warf Riga gerade vor, der Synagogenangriff könne „zum Auftakt für antisemitische Aktionen in allen baltischen Ländern“ werden. Reinhard Wolff