Auf ihrem Wahlparteitag in Rostock legte die PDS die Eckpunkte für den Wiedereinzug in den Bundestag fest: Oppositionell und ostdeutsch lautet die Devise. Der Aufbau der Partei im Westen, der bislang stets als überlebenswichtig bezeichnet w

Auf ihrem Wahlparteitag in Rostock legte die PDS die Eckpunkte für den Wiedereinzug in den Bundestag fest: Oppositionell und ostdeutsch lautet die Devise. Der Aufbau der Partei im Westen, der bislang stets als überlebenswichtig bezeichnet wurde, hat, so scheint's, unter den PDS-Genossen keine Protagonisten mehr.

Rückzug nach Osten

Gregor Gysi läuft zur Hochform auf: „Die Massenarbeitslosigkeit hat zerstörerischen Charakter“, ruft er an diesem Sonntag nachmittag den rund 540 Parteitagsdelegierten in der Rostocker Stadthalle zu. Die folgen ihrem Bonner Frontmann mit Begeisterung. „Beispiellose Umverteilung“, prangert Gysi an, „es ist das zweite ganz extreme Beispiel neoliberaler Politik. Politik muß wieder Chancen haben, und das bedeutet, die PDS muß wieder in den Bundestag.“

Gysi kennt den Kardinalfehler der Bonner Politik: „Alles wurde im Osten dichtgemacht, was eine Konkurrenz bedeutet hätte.“ Balsam auf die Seelen der Delegierten: Jetzt soll der Osten den Westen retten. „Denn nur wenn wir den Abwärtstrend im Osten stoppen, hat der Westen eine Chance.“ Damit liegt Gysi ganz auf der Linie des Wahlprogramms, das am Vortag beschlossen wurde. „Umverteilen“ heißt das Schlüsselwort, die Reichen sollen den Armen geben. Der Osten muß neu aufgebaut werden, damit er sich vom Westen nicht mehr alimentieren lassen muß.

Am Samstag herrschte in Rostock eher Parteitagsidylle. Im Foyer der Stadthalle signierte die Radler-Legende Täve Schur, der im Herbst in Leipzig ein Direktmandat für die PDS gewinnen will, Bücher. Wenige Meter entfernt präsentierte das Neue Deutschland Plasteherzchen mit dem Aufdruck „Rote Herzen braucht das Land“. Gleich nebenan am PDS-Stand gab's Kondome mit der Aufschrift „In ist, wer drin ist“ zu kaufen.

Im Saal wurde derweil Passage für Passage das Wahlprogramm durchgestimmt. Routine dominierte, klassenkämpferische Einsprengsel inklusive. Der Parteivorstand brachte seinen Vorschlag für das Wahlprogramm mit einigen unwesentlichen Änderungen durch. Nur an einem Punkt mußte die reformwillige Parteispitze eine deutliche Schlappe einstecken. Im Bereich der Arbeitsmarktpolitik hatte sie gefordert: „Die Verkürzung der Arbeitszeit darf weder zur Verringerung der Kaufkraft noch zu Einkommenskürzungen für untere und mittlere Lohngrupen führen.“

Dem folgten die Delegierten nicht, sie wollen den vollen Lohnausgleich für alle. Mit einer solchen Aussage, so ihre Befürchtung, drohe ein Einbruch, wie ihn die Bündnisgrünen mit 5 Mark für den Liter Sprit erlebten. Und so schlossen sie sich den Ausführungen des Altlinken Jacob Moneta an: „Wir sind es doch, die immer sagen, es gibt genug Geld. Wir können doch unsere Argumentation nicht durchlöchern, wenn wir Einbußen beim Lohnausgleich zulassen.“ Der Passus von den unteren und mittleren Lohngruppen wurde gestrichen.

Hoher PDS-Anteil im Osten rückt in den Vordergrund

Ansonsten verdiente die auf die Tagesordnung gesetzte „Generaldebatte“ den Namen nicht. Es war, als hätte eine große Hand eine Decke über alle schwelenden Konfliktherde geworfen, als habe der Parteitag kollektiv beschlossen, daß es nicht gibt, worüber man nicht spricht. Streit um die in den Sand gesetzte Kandidatur des früheren MAD-Chefs Elmar Schmähling im so prestigeträchtigen Berliner Wahlbezirk Mitte/ Prenzlauer Berg? Unmut über den Rücktritt und den unmittelbar folgenden Rücktritt vom Rücktritt des Bundeswahlkampfleiters André Brie? Ärger über die Versuche der Parteispitze, ihr genehme KandidatInnen auf aussichtsreichen Plätzen der Landeslisten abzusichern? Oder gar die Angst, im nächsten Bundestag nicht mehr vertreten zu sein? Alles kein Thema. Selbst Sahra Wagenknecht, Parteischreck und Mitglied der Kommunistischen Plattform, war überaus zahm. Lau tadelte Wagenknecht, die in Dortmund aussichtslos für ein Direktmandat der PDS kandidiert, den Wahlkampfleiter Brie, der mit einer wachsenden Popularität des Kanzlerkandidaten Schröder einen Verlust von überlebenswichtigen Zweitstimmen an die Sozialdemokraten befürchtet und auch keinen Hehl aus seiner Verachtung gegenüber Westverbänden der PDS macht.

Eher verunsichert und die Anstrengungen um den keineswegs sicheren Wiedereinzug in den Bundestag vor Augen, versammelten sich die Delegierten am Samstag hinter ihrer Parteispitze: Sie demonstrierten Geschlossenheit und flüchteten in die Details der Sachdebatten. Die Spitze gab sich im Gegenzug gelassen und zuversichtlich. Parteichef Lothar Bisky etwa reklamierte trotzig: „Wer Konsequenz im politischen Wandel ab Herbst 1998 will, der braucht die PDS im neuen Bundestag.“

Oppositionell und ostdeutsch – das sind die Eckpunkte, die der PDS den Weg nach Bonn bereiten sollen. Der sozialistische Oppositionscharakter wurde im Wahlprogramm festgeschrieben. Stichworte dafür: eine „Sonderabgabe auf höhere Vermögen“, die „Wiederanwendung der Vermögenssteuer“, eine „gerechte Verteilung der vorhandenen Erwerbsarbeit“ oder „öffentliche Kontrolle der Großbanken“ und „Schaffung eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors“. Für das ostdeutsche Profil steht das „Rostocker Manifest“. Es ist nach den Worten Biskys ein Pilotprojekt, das „schon in seiner Anlaufphase die ganze Republik entlasten (würde), weil im Osten die Stabilisierung und der Aufbau eigener Leistungspotentiale Stück für Stück an die Stelle von weiterem Zusammenbruch, von Abbau und Alimentierung treten würde“.

Im Vergleich zu den vorangegangenen Parteitagen der PDS hatte sich an diesem Wochenende die Akzentuierung weiter Richtung Osten verschoben. Auch übte sich die Partei wieder in Nostalgie, wenn Lothar Bisky etwa gegen „Berufs- und faktische Berufsverbote“ wetterte und unter magerem Beifall die „Beendigung der politischen Strafverfolgung“ einklagte. Der Aufbau der PDS im Westen, früher als überlebenswichtiger Schritt vom Parteivorstand bezeichnet, hatte diesmal unter den GenossInnen keine Protagonisten.

Daß sich die PDS auf den Osten zurückzieht, das hören Parteichef Bisky oder Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch überhaupt nicht gerne. Öffentlich bestreiten sie es sogar. Erst am Samstag abend beim Bier waren andere Töne aus der Parteispitze zu hören, wurden Denkmodelle durchgespielt. Der schlimmste Fall, den sich etwa Parteivize Wolfgang Gehrcke für den Herbst vorstellen kann: Bundesweit 4,8 Prozent, zwei Direktmandate. Das hieße nicht nur „Regionalpartei“, es wäre mittelfristig das Ende der PDS. Sie könnte, so Gehrcke, den zunehmenden Bedeutungsverlust selbst im Osten nicht kompensieren.

Nicht nur Gehrcke sieht die Gefahr, bei einem zunehmend polarisierten Wahlkampf ähnlich wie die Bündnisgrünen zwischen CDU und SPD zu geraten. Auf der einen Seite fordert die PDS die Ablösung der Regierung in Bonn. Und ist die Abwahl Kohls erst mal in Reichweite, muß die Partei ihren potentiellen WählerInnen nahebringen, warum linker Druck auf eine Regierung unter einem SPD- Kanzler Schröder so wichtig ist. Die Direktmandate und ein hoher PDS-Anteil im Osten der Republik rücken damit in den Vordergrund. Der Anspruch, eine bundesweit agierende und eine sozialistische runderneuerte Partei zu sein, muß zwangsläufig leiden. Das weiß auch Wolfgang Gehrcke. Nur: „Alles hat eben seinen Preis.“ Wolfgang Gast, Rostock