Grüne zur SPD: Nehmt uns huckepack mit an die Macht

■ Grüner Vorstandssprecher Jürgen Trittin kündigt Zweitstimmenkampagne an: In Sachsen-Anhalt und bei der Bundestagswahl sollen SPD-Sympathisanten den Grünen ihre Stimme schenken. Ministerpräsident Höppner (SPD) zeigt sich nicht begeistert

Berlin (taz) – Am Anfang war es noch ein unverbindlicher Versuchsballon: Hans-Jochen Tschiche, bündnisgrüner Fraktionschef in Magdeburg, wünschte sich in der letzten Woche „Solidarität“ von der SPD und Ministerpräsidenten Reinhard Höppner. Wenn die Bündnisgrünen am 26. April nicht mehr in den Landtag kämen, gehe „die Ära Höppner zu Ende“. Tatsächlich sehen auch die jüngsten Umfrageergebnisse die Grünen dort bei nur vier Prozent. Volker Beck, grüner Bundestagsabgeordneter, forderte daraufhin am Wochenende ganz konkret sozialdemokratische Leihstimmen für seine Partei: „Wer im Bund den Wechsel will, muß in Sachsen-Anhalt für den Wiedereinzug der Grünen in den Landtag sorgen.“

Grünen-Vorstandssprecher Jürgen Trittin war sich gestern auf Anfrage der taz sicher: Die SPD werde bei der Zweitstimmenkampagne der Grünen „zwar nicht mitmachen, sich aber auch nicht dagegen wehren“. Höppner selber rechne trotz der guten Umfragewerte nicht mit einer absoluten Mehrheit der SPD, sagte Trittin. Er will die Zweitstimmenkampagne nicht nur für die Wahl am 26. April in Sachsen-Anhalt: „Wir wollen sie bundesweit.“

Ministerpräsident Höppner dagegen will von einer Wahlhilfe für den Koalitionspartner nichts wissen: „Das macht keinen Sinn. Wir haben keinen Grund, Stimmen an die Grünen abzugeben“, sagte er. „Ich hätte auch gern Rot-Grün fortgesetzt. Aber eine Alleinregierung ist immer besser.“ Bei einem Scheitern von FDP und Grünen an der Fünfprozenthürde könnte die SPD schon mit den derzeit prognostizierten 44 Prozent die absolute Mehrheit der Sitze erhalten. Vor vier Jahren hatten die Bündnisgrünen mit 5,1 Prozent den Einzug in den Landtag nur knapp geschafft.

Mit einer Zweitstimmenkampagne haben die Grünen in der Vergangenheit schon einmal bundesweit Erfolg gehabt. 1983 warben sie mit dem Slogan: „Wer die SPD liebt, wählt diesmal die Grünen.“ Kurz nach dem Beginn der Ära Kohl gelang ihnen damals zum ersten Mal der Einzug in den Bundestag, die Sympathiewerte für die Partei waren im Steigen. Heute ist die Situation anders. Die Umfragewerte der Bündnisgrünen sind innerhalb weniger Wochen von elf auf etwa sechs Prozent bundesweit zurückgegangen, seit die Benzinpreisdiskussion viele Wähler abgeschreckt hat, die sich bis dahin wenig um konkrete Forderungen der Partei gekümmert hatten.

Manche Beobachter sehen die Partei schon haarscharf an der Fünfprozentgrenze. Vorstandssprecher Trittin dementiert das heftig: „Wir kämpfen nicht ums Überleben, wir kämpfen um die Ablösung von Helmut Kohl.“

Nach den jüngsten Umfrageergebnissen der Forschungsgruppe Wahlen findet in Sachsen-Anhalt eine Alleinregierung der SPD die Unterstützung einer knappen Mehrheit der Wahlberechtigten: 47 Prozent sind dafür, 41 lehnen sie ab. Der grüne Abgeordnete Volker Beck warnte die SPD allerdings davor, allein auf die absolute Mehrheit zu setzen. Bei einem Scheitern könne die SPD in die Situation geraten, nur noch die PDS oder die CDU als mögliche Koalitionspartner im Landesparlament vorzufinden. Jede dieser Möglichkeiten verschlechtere aber die Chancen der SPD auf Bundesebene, so Beck. Thorsten Denkler

Siehe auch „Das Wahlorakel“ Seite 7