Sog in den urbanen Abgrund

■ Kunst im Untergrund: Christoph Fischers monströse Stadtpläne auf der ArtGenda

Jedes Handbuch der Stadtguerilla weist darauf hin: Wonach in einer Stadt Ausschau zu halten sich lohnt, das sind die Übergänge in den Untergrund. Gullydeckel, Notausgänge und U-Bahnschächte sind Versprechen der Möglichkeit des Entkommens. Zugleich ist der Underground Infrastruktur. Das gilt nicht nur für Sozialrevolutionäre, sondern auch für die Produzenten von Subkultur sowie für Architekten und Stadtplaner.

Letztere allerdings wollen das, zum Bedauern von Christoph Fischer, nicht wahrhaben. Aus eben diesem Grunde hat Fischer 1995, damals noch Student an der ETH Zürich, mit der systematischen Erforschung des Züricher Untergrundes begonnen. Wasserreservoirs, Atomschutzbunker, Kanalisationsanlagen – alles wurde auf einer vier Quadratmeter großen Karte aufgetragen. Zum ersten Mal ist im Überblick zu sehen, was das Zirkulieren des Kapitals an der Oberfläche erst möglich macht. Zugleich ist eine solche Karte natürlich ein Unding, monströs und größenwahnsinnig. Anders als bei Karten der Oberfläche kann es für die Aufzeichnung des Untergrundes keinen idealen Beobachterstandpunkt geben. Die Wahrnehmung muß also – und dieser These ging Fischer in seinen Videoinstallationen Black Box respektive White Box nach – grundverschieden sein.

Im Video Black Box erforscht die Kamera einen 12 mal 6 mal 60 Meter großen Hohlraum unter dem Züricher Hauptbahnhof. Für White Box dagegen stellte Fischer einen Monitor auf dem Flachdach eines Hochhauses auf und zeigte vor dem Hintergrund der sehr entfernten, sehr weit unten liegenden Stadt Bilder des Flanierens. Fischer argumentiert in diesen Installationen stark polarisierend: Die Aufsicht beziehe ihre Informationen in quasi zeitloser Weise, im quasi fotografischen Verfahren aus der Distanz. Der Untergrund aber lasse sich nicht als Ganzes, nicht in einem Einzelbild erfassen: Er erfordere einen Durchgang – durch den Raum, durch die Zeit.

Aufgrund dieser und einer weiteren Arbeit namens Choros ist Fischer zur ArtGenda 98 in Stockholm geladen worden, was durchaus eine gewisse Logik aufweist: Wo so viele Städte sich in ihren Kulturschaffenden präsentieren wollen, ist es gut, jemanden zu haben, der danach fragt, wie Städte sich eigentlich repräsentieren (lassen). Dementsprechend wird Fischer mit tangential attachments: dialog der schichten die verschiedenen Ansichten der Stadt ausstellen: Die Luftaufnahmen zeigen ein sehr dis-tanziertes Hamburg, die Paternosterfahrt erzeugt Perspektive durch die Verknüpfung verschiedener Raumebenen, und die Fahrt durch den Tunnel am Hauptbahnhof soll ein einziger Sog in den Abgrund werden. Der Künstler scheint auch hier der Aufsicht ihre Abstraktion vorzuwerfen und dagegen die Konkretheit des Erlebnisses auszuspielen. Der Reiz des Untergrundes offenbart damit auch seine sozialromantischen Aspekte.

Und Sozialromantik war ja, womit wir wieder beim Anfang wären, immer Bestandteil sozialrevolutionären Denkens. Matthias Anton