Die am Hamburger Hungertuch nagen

SozialhilfeempfängerInnen nützen Tips zum Weltgesundheitstag wenig  ■ Von Lisa Schönemann

Jedes fünfte Kind ist zu dick oder zu dünn, GrundschülerInnen können nicht mehr rückwärts laufen oder sich länger als einige Minuten konzentrieren. Mit der Gesundheit vieler Hamburger Kinder steht es am heutigen Weltgesundheitstag nicht zum besten. Und: Jedes fünfte oder sechste der insgesamt 228.600 Kinder unter 15 Jahren kann von Bioverköstigung oder Sportvereinsmitgliedschaften nur träumen – der Sozialhilfesatz reicht kaum für ein Taschengeld.

Der jüngste Armutsbericht des Landessozialamtes listet Fehlernährung, gehäufte Magenbeschwerden und Atemwegserkrankungen sowie psychische Probleme bei Kindern und Jugendlichen als gesundheitliche Folgen der Armut auf. „Gesunde Mütter – gesunde Familien“lautet das Motto des diesjährigen Weltgesundheitstages, das von der Weltgesundheitsorganisation WHO nicht eben für die Industrienationen, sondern für die ärmeren Staaten gewählt wurde.

Keine leichte Aufgabe für die rund 45.000 Alleinerziehenden in Hamburg. „Trotz Mütterberatungsstellen und Familienhilfezentren ist die Lage der Alleinerziehenden bedrohlich“, so Margrit Schlankardt von der Hamburger Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung (HAG). Von ihnen sind überdurchschnittlich viele (insgesamt 16.000 Haushalte mit 62.300 Kindern) auf staatliche Unterstützung angewiesen. Ende 1996 betrug der Anteil der sozialhilfeabhängigen Alleinerziehenden rund 19 Prozent.

Da mutet die Aufforderung der Krankenkassen zum Weltgesundheitstag „Mütter haben die Gesundheit der Familie in der Hand“nahezu zynisch an. „Der Einfluß der Mutter auf die Gesundheit ihrer Familie kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden“, sagt Klaus Gollert vom Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK) und nimmt – ganz auf der Höhe der Zeit – die Väter gleich mit in die Pflicht, wenn es um die gesunde Ernährung der Sprößlinge geht. „Rohkost, Obst, frisches Gemüse und Salate“empfiehlt Gollert für den Speiseplan, der sich vom Sozialhilfesatz doch spielend realisieren lassen müßte.

Margrit Schlankardt von der HAG kritisiert in diesem Zusammenhang den Wegfall der Präventionsprogramme an den Schulen als „eine der dümmsten Ideen Seehofers“. Mit der Gesundheitsreform kommen die Kassen für die Unterrichtsprojekte „Gesunde Ernährung und Bewegung“nicht mehr auf.

In Hamburg leidet nach dem Ergebnis einer von Kinderärzten durchgeführten Erhebung jedes vierte Kind an Allergien oder Hautkrankheiten, jedes siebte hat eine (ernährungsbedingte) Schilddrüsenvergrößerung. Zwölf Prozent der Dreizehnjährigen weisen Schäden am Knochensystem auf. KinderärztInnen vermuten, daß die Zahlen in den ärmeren Stadtteilen noch wesentlich höher liegen.

Im jüngsten Zwischenbericht der Hamburger Gesundheitsbehörde ist die Verminderung der Armut als eines der 14 wichtigsten Ziele für das Jahr 2000 formuliert worden: „Es soll alles dafür getan werden, daß die Jugendarbeitslosigkeit bekämpft und der Trend zur immer stärkeren Abhängigkeit von Sozialhilfe umgekehrt wird, um die gesundheitlichen Auswirkungen einer unsicheren sozialen Lage zu vermindern“, heißt es in dem Bericht. Immerhin hat von zehn Kindern und Jugendlichen statistisch gesehen einer bereits Erfahrung mit Drogen gesammelt.

„Die SchülerInnen weisen das energisch von sich“, sagt Gonda Wieget, die eine neunte Realschulklasse in Ethik und Deutsch unterrichtet. Gleichwohl haben die Jugendlichen bei der großflächigen Darstellung ihrer Situation auf der Schulfassade auch an Alkoholflaschen und einen zusammengesunken dahockenden Drogenkonsumenten gedacht. Die Schule Holstenhof auf der Grenze zwischen dem wohlhabenden Marienthal und dem ärmeren Jenfeld beteiligt sich an dem Projekt „Hamburger Hungertuch“, mit dem die Nordelbische Kirche gemeinsam mit PädagogInnen und StudentInnen zur Wahrnehmung von Kinder- und Jugendarmut anregen möchte.

Das „Hungertuch“, eine Collage des Hamburger Künstlers Sönke Nissen-Knaack, thematisiert Erfahrungen von Jugendlichen mit Armut, Gewalt, Einsamkeit und Ungerechtigkeit und ist noch bis Karfreitag in der Hauptkirche St. Jacobi in der Innenstadt zu sehen.