Chaos, Mathe und Mechanik

■ Bei der Tagung der Gesellschaft für angewandte Mathematik und Mechanik reden 1.000 Forscher über Modelle – und über Flugzeuge, Roboter und superschnelle Züge

Neue Technologien für Raumtransporter, Roboter, Flugzeuge, Hochgeschwindigkeitszüge, neue Werkstoffe für Hubschrauber und Autos: Hinter den Theorien und Modellen der angewandten Mathematik und Mechanik stecken oft ganz konkrete Anwendungen für die Praxis. Und so ist es keineswegs ein Haufen verschrobener Wissenschaftler, die sich zur Jahrestagung der GAMM, der internationalen Gesellschaft für Angewandte Mathematik und Mechanik in Bremen versammelt haben.“

Mehr als 1.000 Teilnehmer aus 30 Ländern, davon viele aus Osteuropa, belegen bis Donnerstag 22 Hörsäle der Bremer Universität und Räume im Congreß-Centrum. Das Programm ist umfänglich: 819 Referate stehen im Rahmen diverser Mini-Symposien neben 14 Hauptvorträgen auf dem Tagungsprogramm. Junge Forscher stellen sich der Fachwelt vor.

Wozu angewandte Mechanik dienen kann, macht der Wiener Professor Franz Ziegler, Präsident der GAMM, deutlich: „Man kann Rad-Schienen-Systeme zu neuen Höchstgeschwindigkeiten treiben“. Wenn Räder von extrem leicht gebauten Eisenbahnwaggons einzeln aufgehängt und gesteuert würden, ließen sich Geschwindigkeiten von bis zu 500 Stundenkilometern erreichen. Theoretisch seien solche Systeme längst machbar.

Ebenfalls in Bremen vorgestellt würden neue Entwicklungen in der „Mechatronik“: In diesem Gebiet wird Mechanik mit elektronischen Regelsystemen verbunden. So werden sensorgesteuerte Roboter möglich, bei denen die Aktuatoren, die die Maschinen bewegen, direkt in den Werkstoffen stecken.

Um entsprechende Modelle zu berechnen oder sie im Computer zu simulieren, seien die Ingenieure auf komplizierte mathematische Modelle angewiesen, erklärte der Bremer Mathematiker Diederich Hinrichsen den Bezug zu seinem Fach. Die GAMM war nach eigenen Angaben die erste wissenschaftliche Gesellschaft mit interdisziplinärem Anspruch, als sie 1922 von Ludwig Prandtl und Richard von Mises gegründet wurde.

Ein wichtiges Arbeitsgebiet der GAMM-Forscher ist auch die Strömungsmechanik. So ließen sich bis 2005 mit einer verbesserten Aerodynamik von Flugzeugen bis zu 32 Prozent Treibstoff einsparen, sagte der Bremer Professor und Fallturm-Chef Hans Rath. Der Einsatz leichterer Materialien könnte nur die Hälfte der Einsparungen bringen. Bei der Bremer Aerodynamik-Sektion von Airbus seien die Ingenieure dabei, intelligente Tragflächen für den großen Airbus zu entwickeln. Der Werkstoff solle so gewählt werden, daß der Flügel selbständig seine Wölbung und damit seinen Luftwiderstand anpaßt.

Mathematisch ist hier wieder die Chaos-Theorie notwendig: Es gelte zu untersuchen, wann eine kontrollierte „laminare“Strömung in eine „turbulente“, das heißt chaotische Strömung übergeht. Ähnliche Mechanismen greifen nach Auskunft der Wissenschaftler, wenn Silicium für die Herstellung von Halbleitern gefertigt wird. Beim Schmelzen, Abkühlen und Kristallieren entstehen Strömungen innerhalb des Materials, die den Kristallisationsprozeß beeinflussen. Je feiner die Kristallstruktur, umso geringer ist der Ausschuß an teuren Mikrochips, wenn sie auf die Siliciumplatte aufgedampft werden.

Joachim Fahrun