Ein ganz anderer Mensch als andere

■ Nur ein kleines Porträt des Pusdorfer Künstlers und Friedensaktivisten Joachim Fischer

Wo Stromer Straße und Stromer Landstraße sich allabendlich „Gute Nacht“sagen und ein Windrad am Güterverkehrszentrum in der Ferne die Luft so lange im Kreis herumwirbelt, bis sie weiße Wolken kotzen muß; wo taubstumme Bullterrier in der Nachbarschaft von humpelnden Skins „Alex, kommma na' hierher!“zugerufen bekommen und sich einen Hundehaufen darum scheren; wo schließlich tätowierte Träger des ersten Bartflaums in Lederjacke, Jogginghose und Badelatschen ihrer Mutter die Einkaufs-tasche nach Hause tragen, an diesem Fleckchen Bremer Erde lebt schon ein 37jähriges Leben lang Joachim Fischer. Wer wie Fischer Pusdorf, dieses charmante Wohnumfeldsidyll, nie verlassen hat, wer mithin dem spröden Reiz dieses Stadtteils und seiner BewohnerInnen – sieht man von dem einen oder anderen Urlaub ab – ohne Unterlaß ausgesetzt war, der kann gar nichts dafür, wenn plötzlich wunderliche Wandlungen mit ihm geschehen.

Bis vor zehn Jahren war Joachim Fischer noch ein ganz normaler Pusdorfer. Des Abends trank der pummelige Chemiestudent frikadellenkauend zwei Biere oder auch sieben, fuhr zumeist unmotiviert mit seinem Auto in der Gegend herum und verbrachte seit dem zweiten Lebensjahr seine Freizeit mit Familie und FreundInnen auf einem Campingplatz in Burhave. Und heute? „Ich trinke nicht, ich rauche nicht, esse kein Fleisch, fahre nicht mit dem Auto und verbringe meine freie Zeit nicht mehr auf dem Campingplatz.“Und doch, der da so redet, es ist jener Joachim Fischer, der einst Fleischklöpschen aß und Gerstensaft genoß. Die Liebe oder Gott – wer sonst macht aus einem Menschen einen ganz, ganz anderen Menschen.

1987, Fischer war in der Zwischenzeit diplomierter arbeitsloser Chemiker geworden, war es soweit. Nicht die Liebe: Gott trat in Fischers Leben, nahm ihm innerhalb weniger Monate 30 Kilo seines Körpergewichts und erleuchtete ihn nachhaltig mit dem berühmten Zehnerpack an „Du sollst nicht ...“-Geboten. „Hast Du etwa Krebs?“fragten daraufhin einfühlsam Pusdorfer FreundInnen den dramatisch Verschlankten. Aber das Gegenteil war wahr: Fischer ging es gut wie nie. Seine einjährige Arbeitslosigkeit endete mit einer Einstellung in einem Lebensmittellabor; Fischer hatte zunächst die Bibel in seinem Bücherregal und anschließend Gott für sein Leben gefunden. Und: Er hatte eine völlig neue Seite an sich entdeckt – Kreativität! Wie Beuys prophezeit hatte: Alle Menschen sind Künstler. Alle Menschen. Also auch Joachim Fischer.

Flugs bewarb sich Fischer, der bis dahin mit Kunst schlichtweg nichts im Sinn gehabt hatte, mit einer Mappe um einen Studienplatz an der Kunsthochschule. Doch oh weh. Nur 30 von 100 notwendigen Punkten wollten die JurorInnen den 20 Kunstwerken des frisch erblühten Talents zuerkennen. Fischer klagte auf Wiederholung der Bewertung. Aber mehr als 30 Wertungspunkte konnten die JurorInnen auch beim zweiten Mal in Fischers „konstruktivistischen Collagen in den Farben schwarz, weiß und rot“nicht erblicken. Dem „besonderen Selbst- und Sendungsbewußtsein“, das Fischer seit dieser Zeit verspürt, konnten diese KunsthochschulbanausInnen jedoch nichts mehr antun.

Eine seiner ersten Arbeiten, die er im Vitrinenschrank seiner Dreizimmerwohnung aufbewahrt, zeigt zwei mit Watte ausgestopfte orange Handschuhe, die eine Bierflasche halten. Eine „autobiografische Installation“nennt sie der Künstler, mit der er seine Vergangenheit als Nutzer alkoholischer Getränke thematisieren wollte. Doch nicht alle Produkte der anfänglichen Schaffensperiode, die Fischer im Keller lagert, finden heute noch derart ungebrochen seine Anerkennung. „Mensch, was hast du denn da zusammengekloppt?“durchfährt es ihn schon ab und an beim Gang durch die eigene Sammlung. Zu sich selbst fand Fischer erst so richtig, als er durch die Straßen schritt und plötzlich merkte: „Ein Müllteil spricht mich an.“

Seitdem kehrt Fischer selten von einem Spaziergang wieder, ohne nicht mindestens mit einer rostigen Schraube oder einem mit Fahrrad-spuren überzogenen Pappstückchen zurückzukommen. Direkt neben seinem Wohnzimmer hat er mit den Jahren „eine kleine Müllhalde“angelegt, wo die Fundstücke darauf warten, daß sie vom Künstler als Inspirationsquelle auserwählt werden. Aus halben Kleiderbügeln formt Fischer dann glücklich vor sich hindümpelnde Schwäne, zerbrochene Farbabstreichgitter verwandeln sich in Enten, und in plattgefahrenen Blechkonserven vermag Fischer einen Menschen zu erblicken, der in der Badewanne sitzt. Doch nicht alles, was er sammelt, mutiert zum Kunstwerk. „Wenn ich mit der Zeit merke, daß ich den Draht zu einem Müllstück verloren habe, werfe ich es wieder weg.“Dann aber selbstverständlich politisch korrekt entsorgt. „Denn Recycling ist politisch. Doch wenn ich künstlerisch arbeite, habe ich nur den Müll im Kopf und denke nicht an Politik.“

Dabei ist Joachim Fischer ansonsten ein überaus politischer Mensch. Unter dem Eindruck des Golfkrieges hat er mit FreundInnen die rührige Pusdorfer Friedensgruppe gegründet. Mit Aktionen, Anzeigen, Demonstrationen und Leserbriefen mischt sich die Friedensgruppe regelmäßig in friedens- und finanzpolitische Bremer Themen ein. Aber auch Agitprop für den Herrn ( „Gottesdienst ist ein Stück Lebenskraft“) und, wie im Anzeigenteil der jüngsten Ausgabe des MIX, Ernährungshinweise („Lebt vegetarisch empfehlen Rinder, Schweine und Joachim Fischer“) werden verbreitet.

Seit 1995 hat Fischer für seine unbändige Kreativität ein neues Betätigungsfeld gefunden. Während eines Spaziergangs auf dem Deich fiel ihm auf, daß niemand die Laternenpfähle angemessen würdigt. „Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, daß es unglaublich viele verschiedene Laternenpfähle gibt?“Und Brückengeländer. Und Brunnen. Und Baumstützpfähle. Zweimal im Jahr wickelt Fischer seitdem derartige Alltagsobjekte für mehrere Wochen in rotweißes Baustellenband ein. Nach Abwicklung seien die Gegenstände wieder völlig neu zu entdecken. „So nach dem Motto: Mensch, das sind ja Baumstützpfähle!!“

Der Vergleich mit dem berühmten Einpackkunstpaar Christo und Jean Claude drängt sich da geradezu zwangsläufig auf. „Vom Prinzip her ist die Ähnlichkeit natürlich vorhanden“, bestätigt Fischer diese kunstgeschichtlich augenfällige Parallele. Aber: Obacht auf die feinen Unterschiede! „Christo verhüllt. Ich aber wickle ein.“Als das Paar den Reichstag verhüllt hat, ist Fischer denn auch nach Berlin gefahren. Dort schrieb er „Christo verpackt den Reichstag, doch Fischer verpackt alles“auf ein Pappschild und stellte sich mit einer dicken Rolle Packpapier auf den Ale-xanderplatz. Von der Kirsche über einen Busfahrschein bis hin zu einer jungen Frau verpackte Fischer von 11 bis 16 Uhr alles, was die PassantInnen ihm anboten. „Das war witzig“, sagt Fischer. Und kehrte beglückt nach Pusdorf zurück. zott