Kuheuter auf Stuckdecke

■ Über 20 Künstler drängeln sich bis zum Treppenhaus hinauf in der Galerie Cornelius Hertz / Denn die hat auch achten Geburtstag

itten in die wüsten Windgeräusche einer ganz und gar nicht windigen Installation mischen sich dezente Trommelklänge hinein. In diesen unseren Breitengraden stammen solche Töne erfahrungsgemäß aus WGs, wahrscheinlich aus der WG von Cornelius Hertz, direkt über seiner Galerie. Diese verantwortet er zwar finanziell alleine, doch stehen ihm zehn befreundete KünstlerInnen und Kunstinteressierte für Galerieführungen und Entscheidungsfindungsgespräche zur Seite. Der heute „nur“noch mit ganzem Herzen und halbem Zeitbudget politisch agierende Galerist hält den kollektiven Lebensformen der Jugend die Treue – zumindest ein bißchen.

Da trifft es sich irgendwie gut, daß die derzeitige Ausstellung ein Kollektiv von Kunstwerken zeigt. Zum achtjährigen Bestehen der Galerie teilen sich gut und gerne 20 Künstler der Galerie drei eher ungroße Räume. Und was da nicht Platz findet, darf sich das Treppenhaus ein Stockwerk weit hinaufschlängeln. Unmöglich, würde jeder Museumsmann stöhnen, in Anbetracht der platzeffizienten Stapelhängung. Doch Cornelius Hertz vertraut auf die Diskursfähigkeit der ausgestellten Arbeiten. Da stößt der weiße König einer Serie von strategisch-konfrontativ denkenden Schachfiguren (Gerd Garbe) auf ein intimes, gruselig-düsteres Röntgenbild eines menschlichen Beckens mit der Aufschrift „Wollust“. Nur ein paar Zentimeter weiter schaut eine grobkörnige, lila angehauchte Frau („The beautiful unknown“von Marikke Heinz-Hoek) melancholisch vor sich hin. „Forget it“kommentiert dagegen forsch ein winziges Bild in goldfarbenen Ramschrahmen aus Plastik. Und in den Windungen der Buchstaben turnen lustige Kobolde. Ein Teller von Gabriele Konsor zeigt fleischige Faserstrukturen gefährlich nahe an der Ekelgrenze, vielleicht eine Narbe, vielleicht ein Riesenmund. Dahinter steht eine halbvolle Rieslingsektflasche mit (v)ersoffener Fliege. Oh, Flasche mit Fliege sind „echt“, ein Vernissagenrelikt und höchstens versehentlich Kunst.

Die unglaublich unterschiedlichen Arbeiten der Ausstellung wurden zum Teil aus Serien oder Rauminstallationen herausgerissen – und manchmal von Hertz neu figuriert. So arrangierte der Bilderregisseur ein Diptychon und ein Einzelbild von Jürgen Paas skrupellos zu einem Triptychon. Natürlich hat Hertz recht: Warum soll solch deutendes Arrangieren nur den Theaterregisseuren erlaubt sein.

Bei Einzelausstellungen läßt der Galerist allerdings den KünstlerInnen freie Hand – und zwar so frei, daß schon mal ein Stück des opulenten Deckenstucks dran glauben muß. Seltsame Neonlichtkästen, die sich zwischen die Stuckgirlanden quetschen, sind aber keine Konzeptkunst eines Donald-Judd-Epigonen, sondern stammen noch von Hertz' Vater. Der hatte hier irgendwann nach dem Krieg eine Galerie eröffnet, seit 1946 von Kahnweiler mindestens ein Exemplar von jeder Picassographik abbekommen und dies zum Teil an die Bremer Kunsthalle weitervermittelt. In den frühen 70ern machte er als einer der ersten Galeristen die Wessis mit Sitte, Tübke und Heisig bekannt. Um an diese Tradition zu erinnern, gesellen sich mitten zu den zeitgenössischen Arbeiten ein Porträt des Vaters von Berhard Heisig, Skizzen zu Duchamps „Großem Glas“und diverse Picassos.

Ausstellungen mit politischem Dreh, zum Beispiel Bilder von RAF-Gefangenen, haben der Galerie in den letzten Jahren ein Publikum jenseits des Bildungsbürgertums erschlossen. Durch Führungen und Veranstaltungen möchte die Galerie dieses Mischpublikum zum „Mehrmalssehen“animieren. Denn erst der zweite oder dritte Blick hat das Zeug zum Entdeckerblick. Schon im allerersten Moment allerdings entdeckt man, daß aufgeblasene Gummihandschuhe ganz genauso wie Kuheuter aussehen. Aber was haben Kuheuter an Galeriedecken zu suchen? „Wollust“? – „Forget it“? Nein, denn vergessen tut man nur das Langweilige. Barbara Kern

Bis 15. Mai, Richard-Wagner-Str. 22, Mi+Fr 10-18 Uhr, Do 14-19 Uhr