„Focus“ und die Juden Von Thomas Gsella

Das Inhaltsverzeichnis des unter der Figur Markwort angebotenen Werbemagazins Focus teilt mit den meisten der konkurrierenden Produkte eine strukturelle und eine optische Eigenart. Die strukturelle: Wirtschaftsanzeigen, Sinn und Zweck des Unternehmens, füllen mehr als die Hälfte des Heftes und werden im Inhalt verschwiegen. Die optische: Das Thema der die Anzeigentexte varriierenden redaktionellen Füllsel ist jeweils fettgedruckt und weist mit einem gleichfetten Doppelpunkt auf nachfolgende Spezifizierung hin, in der Nummer 14/98 z.B. so: „Grüne: Die gefährlichen Pläne der Ökos für den Urlaub, Jobs und Autos.“ Andere Texte des Inhaltsverzeichnisses dieser Ausgabe lauten: „Euro: Wer auf die richtigen Anlagen setzt, verdient an der Währungsunion“; „Börsen-Formel: Wie die Profis die besten Euro-Aktien für das Depot berechnen“; „Geldmarkt: Havarie bei Schiffsfonds“; „Busineß-Jets: Was die bis zu 70 Millionen Mark teuren Flieger bieten“; „Gastronomie: Trend zur australischen Küche“; „Interview: Sharon Stone über Kino, Erotik und Liebe“; „Reise: Neue Last-Minute-Anbieter“; „Holocaust: Saul Friedländers Studie ,Das Dritte Reich und die Juden‘“.

Worin besteht die Obszönität? Im von der dummen Indifferenz der journalistischen Form erzwungenen gleichgewichtigen Nebeneinander von Reicherwerden, Schönerjetten, Billigerreisen, Besserspachteln und Vernichtung der europäischen Juden? Oder ist es vor allem dieses Blatt? Auf dem Titel der zitierten Ausgabe glänzen die wie üblich schmerzend schafsdoofen Lettern: „Exklusiv zum Euro-Start. Börse: Die neue Gewinn-Formel. Erstmals vergleichbar: Deutsche und Euro-Aktien. So verdienen Sie am meisten.“ Nach Horkheimer soll vom Faschismus schweigen, wer vom Kapitalismus nicht reden will. Gleichfalls aber soll, wer lügt, wenn er vom Kapitalismus redet, von der Judenvernichtung schweigen. Jawohl, das soll er. Eine a priori einverstandene Clique vermutlich eher schlichter Redakteure hat kein Recht, ihr verordnet seichtes und apologetisches Geschwätz mit dem erschlagenden Gewicht des Völkermordes aufzupeppen, zu beschweren. „So verdienen Sie am meisten“: Nicht nur die Chefs der IG Farben wußten auch schon, wie. Aber dafür sind Juden nicht gestorben, daß ein Markwort mit ihnen seine Ware verpacke. Daß sie sich nicht wehren, ja nicht einmal sich aussuchen können, in welche Blattmischung sie verrührt werden, und es längt gang und gäbe ist, macht aus dem Unerhörten kein Erträgliches. Wäre Leichenfledderei kein anderweitig definierter Terminus, er würde einem hierzu einfallen.

Dabei geht es doch anders; verfahren ähnliche Organe wenn nicht schamhafter, dann doch produktgerechter als Focus. Kein Werbeblatt von Rewe oder ProMarkt kam bislang auf die Idee, Fotos der brandneuesten Schinken, Schnäpse oder Radios mit schnellen kleinen Auschwitzstories zu umtexten. Und das ist – vielleicht doch eben äußerst blöd. Denn würden nicht zumal die Focus-Leseäffchen noch dreimal froher in die Werbezettel starren und sich die dort gezeigten Fakten gleich noch etwas fleißiger in ihre Birnen schaufeln, wenn der Kack ein bißchen stärker – an ihr Blatt erinnern tät? Bitte denken Sie darüber nach.