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Was der flexible Mensch gewinnt – und verliert

■ Richard Sennett, amerikanischer Soziologe und Kulturkritiker, schildert das Ende der durch Kontinuität bestimmten Arbeitsbiographien und die Erfahrung zusammenhangloser Zeit

Der flexible Mensch hat viele Gesichter. Bill Gates zum Beispiel, der sich lieber in einem Netz von Möglichkeiten bewegt, als sich in einem fest umrissenen Job zu lähmen. Dessen Produkte so rasend schnell auf den Markt kommen, wie sie wieder verschwinden. Ein rücksichtsloser Konkurrent, zum Loslassen fähig, wenn schon nicht zum Geben. Ein Mensch der inmitten des Chaos aufblüht und dort seinen Erfolg findet.

Auch Rico ist ein flexibler Mensch. Er verachtet Ordnung und Bürokratie, ist risikofreudig und der Überzeugung, man müsse für Veränderungen sein. Viermal ist Rico mit seiner Familie bereits umgezogen und hat den Job gewechselt. Auch Rico bewegt sich, wie Gates, unter den oberen fünf Prozent der Einkommensskala. Doch trotz seines Wohlstands leidet Rico unter der Angst, die Kontrolle über sein Leben zu verlieren.

Rico ist eine der Erzählfiguren, anhand derer der amerikanische Soziologe Richard Sennett dem Leser seines neuesten Buches „die Kultur des Kapitalismus“ nahebringt. Einer Kultur, die nicht mehr geprägt ist von den Kategorien des Elends und der Entfremdung. Vielmehr werden die Ricos von der Angst ergriffen, durch ihren vom Konkurrenzkampf geprägten Lebensstil jede innere Sicherheit zu verlieren, in einen Zustand des Dahintreibens zu geraten. Sie leiden unter der Entwurzelung, die ihren Erfolg begleitet. Sie haben keine Arbeitsbiographien mehr, die noch das Leben ihrer Väter prägten und denen Halt und kollektive Sicherheit gaben. Gewiß hat auch Rico Beziehungen, doch in der Ortlosigkeit seines Lebens werden sie virtuell.

Die Fähigkeit, diese Fragmentierungen zu akzeptieren, kennzeichnet Sennett als den herausragenden Charakterzug der flexiblen Persönlichkeit. Doch diese Eigenschaft kennzeichnet den Sieger, den Typ Bill Gates. Auf den Charakter all jener, die keine Macht haben, auf die Ricos, wirkt sich das neue Regime ganz anders aus.

In deren Leben gibt es nichts Langfristiges mehr, nichts, was sich noch mit den überkommenen Begriffen der Karriere beschreiben ließe. Durchschnittlich elf Stellenwechsel in vierzig Berufsjahren bei dreimaligem Austausch der Kenntnisbasis – so lautet das, was sich früher einmal Karriere nannte.

Sennetts Buch ist keine Kapitalismuskritik, auch wenn es die politische Biographie des 68ers, der in New York Soziologie lehrt, nahelegen mag. Er nähert sich dem globalisierten System weniger von der Verlierer-, sondern von seiner privaten Seite. Nicht die offensichtlichen Ungleichheiten, die es hervorbringt, sind sein Thema, sondern die Verformungen der Charaktere. Sennett idealisiert das Arbeitleben des klassischen Industrialismus nicht, doch dient es ihm als Folie eines normativ durchtränkten Chrakter- und Gesellschaftsbildes.

Auf diesen Hintergrund schildert er die Mitarbeiter einer Bostoner Bäckerei, die nie einen Laib Brot in die Hände bekommen, dafür aber an einem Computer sitzen, den sie im Zweifelsfall nicht reparieren können, weil sich ihr Interesse an dessen Handhabung auf das Notwendigste beschränkt. Unter solchen Bedingungen wird Arbeit als kollektiver Prozeß nicht mehr erkennbar. Wie lassen sich dann noch Arbeitsbiographien lesen? Etwa die der Barfrau Rose, die mit vierzig Jahren in die Werbebranche einsteigt. Sie schmeißt den Job nach kurzer Zeit wieder, weil sie jeden Tag aufs neue um ihre Position kämpfen muß, weil nichts gewiß und keine Beziehung sicher ist. Wo früher das Alter als Qualifikation galt, ist es nun ein Mangel.

Sennetts narrative Wanderung durch die amerikanische Arbeitswelt, die ihn als exzellenten teilnehmenden Beobachter ausweist, führt keine Loser vor, sondern Phänotypen, deren Schilderungen um so eindringlicher sind, als sie einen hohen Wiedererkennungswert haben.

Wo alles flexibel und im Fluß ist, versiegt der Strom der Erzählung, die dem Leben einen inneren Zusammenhang gibt. „Die Erfahrung einer zusammenhanglosen Zeit“, so Sennett, „bedroht die Fähigkeit der Menschen, ihre Charaktere zu durchhaltbaren Erzählungen zu formen.“ Die Ungewißheit löst sich von der historischen Katastrophe, sie wird zur alltäglichen Praxis des Kapitalismus.

Doch ist die Zerstörung des Charakters eine unvermeidliche Folge, wie Sennett behauptet? Fast scheint es, als scheue der Soziologe vor dem fatalen Ergebnis der eigenen Analyse zurück , denn er gibt seinem Buch eine fast rührend anmutende, normative Wendung. Er nimmt Anlehnung an den Journalisten Walter Lippmann, der in seinem zornigen Buch „Drift and Mastery“ (Die amerikanischen Originalausgabe von Sennetts Buch lautet nicht von ungefähr „Drift“) zu Beginn des Jahrhunderts seine Landsleute aufrüttelte, trotz ihres Elends ihr Leben in die Hand zu nehmen und einer eigenen Lebenserzählung zu folgen, aus der sich eine ethische Einstellung ergibt. Inspiriert von Lippmanns emphatischen Glauben an das Individuum intoniert Sennett sein Credo: „Es ist an uns, den Faden im Teppich zu finden und aus der kurzfristigen Arbeit, amorphen Institutionen, oberflächlichen gesellschaftlichen Beziehungen und der ständigen Gefährdung der Arbeitsstelle eine persönliche Karriere zu machen. Gelingt es uns nicht, diesen Bedingungen Kontinuität und Zielbewußtsein abzutrotzen, versagen wir buchstäblich vor uns selbst.“ Das hätte Bill Gates nicht schöner formulieren können. Dieter Rulff

Richard Sennett: „Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus“. Berlin Verlag, 1998, 38 DM

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