■ Die Union hat noch kein Konzept gegen Schröder gefunden
: Schäubles Stunde kommt

„Eine Steilvorlage für den politischen Gegner“, erboste sich noch vor vier Wochen Gunda Röstel angesichts der Zerstrittenheit ihrer Partei. Mittlerweile kann die Grünen-Vorsitzende wieder durchatmen. Der politische Gegner hat die Vorlage verstolpert. Er offenbart mittlerweile sogar eine solch eklatante Sturmschwäche, daß sich absehbar die Frage nach der Mannschaftsführung stellen wird.

Der jüngste Zwist in der Union ist vordergründig einer um den Stellenwert ökologischer Konzepte, im Kern einer um die Führung im konservativen Lager. Noch immer weiß die CDU nicht, wie sie sich aus ihrem Stimmungstief befreien will. Der Wählertrend, der in früheren Wahljahren mit gottgegebener Gesetzmäßigkeit für sie nach oben wies, hat sich auf die Seite der Sozialdemokratie geschlagen. Alle Anzeichen sprechen dafür, daß er noch stärker wird. Nach dem 26. April wird sich die CDU in Sachsen-Anhalt wahrscheinlich mit der PDS in Augenhöhe treffen, weit abgeschlagen hinter der SPD. Beides ist schmerzhaft für die Union. Dieser Schmerz ließe sich nur dadurch lindern, daß Ministerpräsident Reinhard Höppner die PDS stärker als bisher an der Regierung beteiligte und damit der Union eine unverhoffte Chance zu dem von ihr favorisierten Lagerwahlkamf böte. Doch dies wird Lafontaine zu vermeiden wissen.

Danach wird die Union nur noch mit dem Pfund Wolfgang Schäuble wuchern können, um den Abwärtstrend zu wenden. Der Fraktionsvorsitzende signalisiert den Willen, die inhaltliche Auseinandersetzung um die Gestaltung der Republik in den kommenden vier Jahren zu führen – auch um den Preis einer größeren Nähe zur SPD. Helmut Kohl strahlt die muffige Aura einer Kontinuität aus, die mit der Einführung der Europäischen Währungsunion ihre selbstgesetzte Vollendung gefunden hat.

Kohl wollte Schäuble als Nachfolger, nun droht er von ihm in dem Maße verdrängt zu werden, wie seine eigenen Schwächen offensichtlich werden. Die Angriffe auf Generalsekretär Hintze trafen auch den hinter ihm stehenden Vorsitzenden. Weder in Sachsen- Anhalt noch in Bayern traut man der Wahlkampflokomotive Kohl die erforderliche Zugkraft noch zu. Ist ein Lagerwahlkampf nicht mehr führbar, droht Kohl im direkten Vergleich mit Schröder ins Hintertreffen zu geraten. Auf diese Konfrontation ist der Wahlkampfstab der Union nicht vorbereitet gewesen.

Nun rächt sich für die Union, daß sie die Nachfolgefrage so lange verdrängte. Schäuble ist nicht unumstritten, vor allem in der CSU. Die pocht auf Mitsprache, schon um Eigenständigkeit zu dokumentieren. Doch offenbaren die jüngsten Attacken auf Schäuble wegen des Wahlprogramms auch die innere Zerissenheit der CSU. Denn deren Bonner Flügel, vertreten durch den Parteivorsitzenden Waigel, hatte dem Ökosteuerkonzept bereits seinen Segen gegeben. Die Entrüstung über Schäuble, die sich vor allem bei den Landespolitikern um Stoiber regt, zielt auch auf ihn.

Die CSU in München fürchtet um ihre Konfrontationslinie im bayerischen Wahlkampf, der gleichfalls im September entschieden wird. Schon als es um die Zustimmung zum Euro ging, hat Waigel Stoiber in den Konsens gedrückt, nun wird ein weiteres Mal das kantig-konservative Profil der Christsozialen verwischt. Doch wird sich der Widerspruch darauf beschränken, am gemeinsamen Wahlprogramm vereinzelt Korrekturen anzubringen. Eine Streichung ihres Ökosteuerkonzeptes, wie es von manchen CSUlern gefordert wird, würde bei der Union ebenso die Frage nach der Glaubwürdigkeit aufwerfen, mit der sich die Grünen bei ihrer Fünfmarkdebatte rumschlagen.

Die Wahlkampfstrategie der Union wird in den nächsten Wochen begleitet sein von einer Debatte, die Zerissenheit signalisiert. Darin gleicht die augenblickliche Situation der CDU dem Zustand der SPD im Jahr 1994. Um den Trend zu wenden, formierte die Sozialdemokratie damals ihren Spitzenkandidaten zu einer Troika um. Es dauerte vier Jahre, bis sich daraus ein Erfolgsmodell herausschälte. Der CDU wird nur ein Tandem zur Verfügung stehen. Vielleicht wird sich da ja schneller entscheiden, wer lenkt. Dieter Rulff