■ Die Nationaldemokraten entdecken den 1. Mai und planen in Leipzig den größten Aufmarsch seit Jahrzehnten. Mit guten Chancen - ein Verbot wird es nicht geben
: Hinter der Fassade die alte Wut

Die Nationaldemokraten entdecken den

1. Mai und planen in Leipzig den größten Aufmarsch seit Jahrzehnten. Mit guten Chancen – ein Verbot wird es nicht geben

Hinter der Fassade die alte Wut

Man ist, was man ißt. Bratwurst, Kartoffelpüree und Sauerkraut bekommt Oliver vorgesetzt, obwohl er Pommes mit Ketchup lieber mag. Doch bei der blonden Bedienung im Bürgerhaus von Leipzig hat Oliver nichts zu melden: „Der Deutsche ißt Deutsches.“ Basta. Das hätte er eigentlich wissen müssen. „Macht nichts, Oliver“, tröstet Kameradin Ursula. „Das Sein bestimmt doch das Bewußtsein“, lächelt Kamerad Jürgen. Beim Mittagessen mit der Presse geben sich die Spitzenkräfte der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) betont leger und harmlos.

Oliver Händel, Ursula Mann und Jürgen Schön organisieren die 1.-Mai-Parade am Völkerschlachtdenkmal. Es soll der größte Rechtsradikalen-Aufmarsch der letzten Jahrzehnte werden. „10.000 kriegen wir bestimmt“, frohlockt Händel. Die NPD mobilisiert bundesweit, ihre Jugendorganisation Jungnationale (JN), der Händel vorsteht, hat „Nationale Infotelefone“ geschaltet, über die die Anreise gebucht werden kann. Etwa 4.000 Anmeldungen seien schon sicher, sagt Händel. „Wir schaffen Arbeit – Bonn schafft nichts!“ und „Leistet Widerstand jetzt“ liest man dieser Tage an Bauzäunen, im Internet und auch am Ehrenmal für polnische und sowjetische Opfer des Nationalsozialismus in Taucha, nahe Leipzig.

In diesem Jahr will die Partei in Leipzig Arbeitergeschichte machen. Mit Parolen wie „Arbeitsplätze zuerst für Deutsche“ und „Jagt sie davon, die Bonzen in Bonn“, sammeln die Ultrarechten seit einiger Zeit regen Zuspruch bei Fremdenfeinden und Protestwählern. Vergangenen 1. Mai war die braune Parade am Völkerschlachtdenkmal noch verboten worden. Im Wahljahr sieht Fachbereichsreferent Spang vom Dresdener Innenministerium erhebliche Schwierigkeiten, den Aufmarsch zu untersagen. Die NPD genieße das Parteienprivileg. Da sie mit legalen Mitteln arbeitet, ist sie vom Grundgesetz besonders geschützt. Außerdem gehe es ihr um ein „durchaus anständiges Thema zum 1. Mai“. Spang sagt: „Die NPD ist keine tickende Zeitbombe.“ Dies hatte kürzlich der Leiter der Soko Rex behauptet. Seither darf der Sonderermittler für Rechtsextremismus in Sachsen keine Interviews mehr zur NPD geben. Sorge bereitet Spang lediglich die mögliche Konfrontation mit Gegendemonstranten: „Das gibt am 1. Mai jede Menge blutiger Köpfe in Leipzig.“ Aber damit werde die Polizei schon fertig. Die Leipziger haben um Verstärkung aus der gesamten Bundesrepublik gebeten.

Die rechte Demonstrationsleitung fordert von ihrem Anhang „diszipliniertes Auftreten“. Händel und Schön wollen die Kameraden am 1. Mai gewaltfrei präsentieren. Abzeichen, Uniformen und andere Devotionalien der Neonaziszene haben sie strikt verboten. „An diesem Tag haben wir eine historische Mission für Deutschland zu erfüllen“, sagt Jürgen Schön.

Der Aufbau Ost der NPD geht vor allem vom Landesverband Sachsen aus. Geschäftsführer ist Jürgen Schön (49). Ende 1994 zählte er 100 Mitglieder, heute sollen es 1.100 sein. Die Zahl der Kreisverbände habe sich mittlerweile auf 19 erhöht. In keiner anderen Partei haben die Ostler einen so großen Einfluß wie in der NPD, wo sie etwa ein Drittel aller Parteimitglieder stellen. Die Neumitglieder sind jung, der Altersdurchschnitt in Sachsen liegt bei 26 Jahren. Etwa acht von zehn Parteimitgliedern sind arbeitslos.

In kleinen Schlückchen nippt Ursula Mann an der Cola und sagt: „Die NPD kämpft für Arbeitsplätze.“ Woher sollen Arbeitsplätze für etwa sechs Millionen erwerbslose Menschen herkommen? Das vermag die „Wirtschaftsspezialistin“ nicht zu sagen. Darum gehe es auch gar nicht. In der „BRD“ herrsche das „internationale Kapital“, klagt sie. Es dauert nur wenige Minuten bis unter der dünnen Fassade der Dame blanker Zorn hervorbricht. Die westlichen Regierungen seien nicht mehr als die Marionetten einiger Bankiers. „Die Finanzplutokratie hat das Sagen. Unsere Politiker sind nur darauf programmiert.“ – Juden sagt sie nicht, der Antisemitismus ist auch so deutlich.

Kein Funktionär der NPD leugnet öffentlich den Holocaust, wie es noch vor zwei Jahren üblich war. „Wir haben überhaupt nichts mehr mit der alten NPD zu tun“, beteuert Geschäftsführer Schön am Kneipentisch. Freimütig bekennt er, daß er die DDR für das bessere Deutschland hält. Den ganz normalen DDR-Bürger spreche seine Partei an. Alle, die sich grämten, nichts vom Kapitalismus abbekommen zu haben, will er um sich sammeln. Besonders willkommen seien alte SED-Genossen, die „bei den bewaffneten Organen waren und heute für sieben Mark Stundenlohn als Wachmann vegetieren.“ Soldaten der NVA, Mitarbeiter der Staatssicherheit seien „national, sozialistisch eingestellt“. So wie Jürgen Schön.

Zwischen einem Bissen Schweineschnitzel und einem Schluck Wasser zerschlägt er multinationale Konzerne, kippt das Bündnis zu Nordamerika und enteignet die „Kapitalisten aus Westdeutschland“. Wenn der 49jährige seine Vorstellungen skizziert, klingt es, als doziere ein Genosse der kommunistischen Plattform. „Das Volk besteht in seiner Mehrheit aus einfachen Menschen. Was wollen die? Arbeit, Geld, Wohnung, Familie.“ Lieber heute als morgen würde Schön die „westdeutschen Kapitalisten, die Mitteldeutschland kaputtmachen“, enteignen und das Geld verteilen. Wenn es schon nicht genügend Arbeitsplätze für alle gebe, sollte jeder Arbeitslose entsprechend seines letzten Gehalts eine Apanage erhalten: „Aber nur, wenn sie Deutsche sind.“ Schön ist selbst arbeitslos. Er kann auf staatliche Unterstützung verzichten, da ein „Freund, der der Partei nahesteht“, seiner Familie den Unterhalt finanziere.

Neben offiziellen Mitgliederlisten will die Partei auch über geheime Listen von Anhängern verfügen, die nicht öffentlich zur NPD stehen wollen. In Leipzig und Dresden firmieren NPD und die Nachwuchsorganisation JN unter Postfächern, klandestin halten sie ihre Treffen in Jugendklubs und Kneipen ab. Auf den meisten Flugblättern stehen westdeutsche Adressen.

Aus dem Westen kam auch Oliver Händel. 1997 schickte ihn die Partei von Köln nach Dresden, um sich um den Nachwuchs zu kümmern. In der Kaderschmiede JN sollen sie zu „politischen Menschen geformt werden“. Im Osten fühlt er sich wohl: „Hier denken die Leute mehr aneinander.“ Nicht nur bei Bratwurst und Sauerkraut. Annette Rogalla