■ Wissenschaftliche Abschlußarbeiten öffentlich
: Öffentlichkeit statt Katzenjammer

„Vorsicht vor dem Loch danach!“. Der Ausruf ist fester Bestandteil im Schatz der Gemeinplätze, wenn Akademiker sich im Kreise Jüngerer an das Ende ihrer Studienzeit erinnern. Monate, manchmal Jahre sitzen angehende Gesellschaftswissenschaftler über ihren universitären Diplom- und Magi-sterarbeiten. Eingespannt in die Folterinstrumente des wissenschaftlichen Apparates von Frist, Fußnote und Fachliteratur und zerrissen zwischen fantastischen Entdeckungen und argumentativer Stringenz.

Was bleibt sind eine Urkunde für den diplomierten Taxifahrer, eine Öffentlichkeit von höchstens drei Lesern, hundert Seiten stillgelegtes Wissen in den universitären Prüfungsämtern – und jede Menge Katzenjammer.

Ein „Junges Forum Gesellschaftswissenschaften“will in dieses Archiv vergeudeten Wissens nun Schneisen schlagen. Initiatoren: die Landeszentrale für politische Bildung gemeinsam mit dem Verein „Erinnern für die Zukunft“, der Bremer Uni, und – in seltenem Schulterschluß – Radio Bremen, Weserkurier und taz. Seit Anfang diesen Jahres stellen junge Gesellschaftswissenschaftler auf diesem Forum ihre Arbeiten öffentlich zur Diskussion. Einmal im Monat mit halbstündigen Vorträgen und anschließendem Gespräch.

Im Februar beispielsweise berichtete Anna-Katharina Wöbse aus der zwiespältigen Geschichte der Bremer Umweltschutzbewegung: „Von grüner Idylle und brauner Fassade“. Ihr Fazit: Ideologische, auch personelle Überschneidungen zwischen den Braunen und den einstigen Grünen gab es – einer politischen Vereinnahmung durch die Nazis aber entzogen sich Bremens Naturfreunde.

Ob dies auch der Historikerzunft attestiert werden kann, fragt am 21. April Frank Kaldonek in seinem Vortrag über „die deutsche Geschichtswissenschaft 1933 bis 1945“. Daß es da mit der Widerständigkeit soweit nicht her war, wurde noch in den letzten Jahren aus Einzelfällen bekannt. Mit immer wieder frischem Erstaunen, das also auch Karl Dietrich Erdmann, Theodor Schieler – Instanzen bundesdeutscher Geschichtsschreibung – sich eher schlecht als recht durch die Nazizeit wurstelten. Frank Kaldonek hat sich dieser Sache mit System angenommen, die Nazi-Jahrgänge der renommierten „Historischen Zeitung“durchforstet und daraus nicht nur eine Magisterarbeit, sondern nun auch einen Vortrag gemacht. Das nämlich gehört zu den Teilnahmebedingungen des Jungen Forums Gesellschaftswissenschaften: Die Bereitschaft, aus dem drögen Hochschuldeutsch eine pointierte, nicht zuletzt radiotaugliche Rede zu basteln.

Mit dem Vortrag einer Kulturwissenschaftlerin tastet sich das Forum dann aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorsichtig in die Gegenwart vor. Am 12. Mai bringt Stephanie Abke Filmmaterial mit, um die Jahre des Wirtschaftswunders „im Spiegel der Jacobs-Werbung“zu brechen. Und nach einem Ausflug in die DDR-Lyrik der 70er und 80er Jahre (Ilona Schäkel) geht es im Juli ums Hier und Heute: Antje Behre denkt sich in die „Faszination Tango“ein: „Was suchen die BremerInnen im Tanz der Compadritos?“

Soweit das Programm. Wohin das Forum sich in Zukunft wendet, das hängt nicht zuletzt vom Angebot ab. Wer also seine just oder fast beendete Magisterarbeit mit einem öffentlichen Vortrag in Bremens kollektives Gedächtnis einschreiben möchte, melde sich bei Michael Scherer in der Landeszentrale für politische Bildung (Tel: 3612098). ritz