„Ich bin doch kein Kamikaze“

Der Flüchtlingsminister der serbischen Teilrepublik trifft sich erstmals mit muslimischen Flüchtlingen, um für die Rückkehr in die Republika Srpska zu werben. Skepsis bleibt wegen mangelnder Sicherheit und fehlendem Wohnraum  ■ Von Julia Naumann

„Das ist das Beste, was ich seit sechs Jahren gehört habe“, sagt Sefik Corlacović. Doch sein Blick bleibt skeptisch. Und nicht nur seiner. Die rund 30 Flüchtlinge, die sich gestern im Büro der Ausländerbeauftragten Barbara John (CDU) versammelt hatten, wirkten nicht wirklich überzeugt, als der Flüchtlingsminister der Republika Srspka, Miladin Dragicević, behauptete, daß die serbische Teilrepublik jetzt „offener“ für Rückkehrer sei als die Föderation. Dragicević, der seit zwei Monaten unter der neuen Regierung von Milorad Dodik im Amt ist, besuchte gestern erstmals Berlin und die Bundesrepublik überhaupt und führte politische Gespräche mit der Ausländerbeauftragen Barbara John und Innensenator Jörg Schöhnbohm (beide CDU) über Rückkehrmöglichkeiten in die Republika Srpska. Und er traf sich mit Flüchtlingen – alle Muslime und aus dem jetzt serbischen Teil stammend –, die in den nächsten Monaten nach Bosnien-Herzegowina zurückkehren wollen oder müssen. Nur in welchen Teil des Landes, ist vielen noch nicht klar. Bisher gingen freiwillige Rückkehrer nur vereinzelt in den serbischen Teil zurück – zu groß war die Angst, wieder ethnischen Spannungen ausgeliefert zu sein, zu groß die Ressentiments der alten Machthaber, sie wieder aufzunehmen.

So ist Corlacović' Skepsis durchaus berechtigt. Er hat Schlimmes hinter sich: Der Muslim mußte bereits in den ersten Kriegstagen im April 1992 aus seinem Städtchen Zvornik fliehen. Als erstes wurde die Stadt Bijeljina angegriffen, dann Zvornik mit seinen 25.000 EinwohnerInnen. Damals lebten dort überwiegend Muslime, heute, so der Ingenieur für Telekommunikation, „100 Prozent Serben“.

Der Flüchtling kräuselt die Stirn, als der Flüchtlingsminister in einem fast beschwörenden Tonfall immer wieder auf die Flüchtlinge einredet. So kündigt Dragicević an, daß der Wohnraum für Rückkehrer und Dagebliebene in den nächsten Monaten neu geregelt werden solle. Arbeitslosigkeit – in Srpska liegt die Quote bei 70 Prozent – und mangelnder Wohnraum sind nach seiner Einschätzung immer noch die größten Rückkehrhindernisse: „Es werden nur so viele zurückehren können, wie es die wirtschaftliche Kraft aushält“, sagte Dragicević. Konkrete Zahlen wollte er nicht nennen.

Auf die energischen Nachfragen und Zwischenrufe der Flüchtlinge, wie für die Sicherheit möglicher Rückkehrer gesorgt sei, wich der Flüchtlingminister aus: „Wir werden zeigen, daß es jetzt eine andere Republika Srpska gibt. Wir wollen die Vergangenheit vergessen“, sagte er platitüdenartig, aber durchaus bemüht und ernsthaft. Auch auf die Frage, wie die Situation in Bijeljina sei, antwortet er nur, der Bürgermeister habe gewechselt. Aus Bijeljina sind schätzungsweise 7.000 Flüchtlinge nach Berlin geflüchtet, unter ihnen eine große Anzahl Roma. Im vergangenen Jahr hatte der damalige Bürgermeister der Stadt angekündigt, nicht einen einzigen Rückkehrer wieder aufzunehmen.

Nach dem Gespräch mit dem Flüchtlingsminister ist sich Sefik Corlacović sicher: „Ich gehe nicht nach Zvornik zurück. Ich bin doch kein Kamikaze.“ Er habe Angst, und die sei auch nicht durch den Besuch des Ministers verschwunden. Denn: Es sei immer noch einmal ein Unterschied zwischen Ankündigungen von Politikern und der realen Welt mit realen Menschen. Corlacović sieht für sich keine Zukunft in der Republika Srpska, keine Zukunft für einen Job in seinem Beruf. Er plant, in die Föderation zurückzukehren oder nach Kanada. Und das, obwohl er bereits Kontakt mit den jetzigen Bewohnern seines Hauses in Zvornik, einer serbischen Familie aus Tuzla, hatte. Das war ganz einfach, denn die Telefonnummer war die alte geblieben. Doch die Familie möchte nicht ausziehen, erzählt er, denn ihre alte Wohnung in Tuzla sei wiederum besetzt. „Nur die ganz Alten werden in die Republika Srpska, in ihre Heimat, zurückgehen, um dort zu sterben“, prophezeit Corlacović. Siehe auch Seite 6