Erwerbslose besuchten Karstadt

Beim dritten Protesttag der Arbeitslosen luden gestern fingierte Einkaufsgutscheine ins Kaufhaus. Die Zahl der Jobsuchenden ging leicht zurück, die Zahl der Demonstranten stärker  ■ Von Hannes Koch

Der Kohlkopf ist aufgespießt. Schlaff und naß sitzt er auf der Spitze eines Regenschirms. Der gehört der Kauffrau Marianne Meschede, die gestern zum dritten Protesttag der Erwerbslosen vor das Landesarbeitsamt in die Friedrichstraße zog. „Unverschämtheit“, erinnert sich die Frau aus Prenzlauer Berg und blickt noch immer ungläubig drein. Hatte man ihr doch beim Arbeitsamt erklärt, sie sei bloß eine „Karteileiche“. Mit ihren 59 Jahren finde sie sowieso keine Stelle mehr. Meschede solle lieber gleich einwilligen, daß sie dem „Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung“ stehen wolle – das erspare alle drei Monate den erfolgslosen Weg zum Amt.

So hatte man Marianne Meschede nichts anderes angeboten, als in die „stille Reserve“ zu wechseln: Dort halten sich Leute auf, die arbeiten wollen, aber nicht mehr in der Statistik auftauchen. Nur wegen dieses Definitionstricks lag die offizielle Zahl der Berliner Arbeitslosen Ende März bei 285.000 Menschen, 5.000 weniger als einen Monat zuvor. Nicht mitgerechnet werden dabei die ABM- Stellen (10.000), „Strukturanpassungsmaßnahmen“ (10.000), Weiterbildung (15.000), Vorruhestand, viele Sozialhilfeempfänger und diejenigen, die von familiärer Unterstützung leben. Die reale Zahl der Arbeitssuchenden dürfte an die 350.000 heranreichen. Die Joblosigkeit beträgt damit rund 25 Prozent – nicht 16,7 Prozent, wie offiziell angegeben.

„Es bewegt sich was!“ rief eine Sprecherin des Aktionsbündnisses Arbeitslosenprotest ins Mikrophon. Die Protesttage Anfang Februar und März hätten Wirkung bei Arbeitsamtspräsident Claus Clausnitzer gezeigt. Dessen allmonatliche Pressekonferenz fiel gestern nämlich aus. Vor einem Monat war es DemonstrantInnen gelungen, Transparente an der Fassade des Amtes zu befestigen.

„Bewegung“ – unterschiedlich definiert: Gerade, weil sich nichts ändere, habe die Pressekonferenz nicht stattgefunden, sagte eine Sprecherin der Behörde. Der Präsident wolle nicht mehr jeden Monat die immer gleichen Zahlen mit gleicher Begründung präsentieren. Der Rückgang im März war nach Darstellung des Amtes „hauptsächlich jahreszeitlich bedingt“.

Die groß auf ein Transparent gemalte Parole „Arbeiter und Erwerbslose aller Länder – zusammen kämpfen“ befolgten gestern, von Regenschauern gequält, zwischen 1.000 und 1.500 Menschen, viel weniger als im Vormonat. Und das, obwohl sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) der Demonstration wieder angeschlossen hatte, nachdem die GewerkschafterInnen mit einer eigenen Aktion im März nur wenige Leute auf die Straße locken konnten.

Durch Kreuzberg ging alles glatt. Später dann wurden die fingierten Gutscheine verteilt, mit denen Karstadt am Hermannplatz zum kostenlosen Konsum in seiner Lebensmittelabteilung einlud. Während 40 ProtestlerInnen sich im Paradies der Ananas- und Krabbendosen umschauten, aß eine Punkerin eine Kaufhaus- Möhre. Polizisten rissen ihr dafür fast die Piercingringe aus Nase und Brauen, notierten ihre Personalien und verhafteten nach Darstellung des Aktionsbündnisses zwei weitere Personen. Vorwurf: versuchte Gefangenenbefreiuung und Widerstand gegen die Staatsgewalt. Der nächste Aktionstag ist für Anfang Mai geplant.