Neue Massaker zum Festauftakt in Algerien

■ 36 Menschen sind in der Nacht zu Montag getötet worden. Die Zeit der Ruhe nach dem Ramadan ist offenbar vorbei. Die Armee führt eine Offensive gegen die bewaffneten Islamisten

Madrid (taz) – Der gestrige Auftakt des Aid el Adha, des wichtigsten islamischen Festes außerhalb des Fastenmonats Ramadan, wurde in Algerien von erneuten Schreckensmeldungen überschattet. 36 Menschen wurden in der Nacht vom Sonntag zum Montag ermordet. Die Regierung schreibt den Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA) die Urheberschaft der Massaker zu.

Das größte Massaker fand im westalgerischen Arzew, 30 Kilometer von Oran entfernt, statt. Dort drangen am Montag früh um zwei Uhr rund 20 mit Jagdgewehren und Kalaschnikows bewaffnete Männer in die Elendshütten von zwei Familien ein. Die Angreifer machten sich mit Messern und Äxten über die Bewohner her. Die blutige Bilanz: 28 Tote – fünf Männer, elf Frauen und 17 Kinder. Trotz der unmittelbaren Nähe des von Militär und Polizei stark bewachten größten Erdgashafens Algeriens konnten die Täter unerkannt entkommen. In der gleichen Nacht wurden acht weitere Menschen bei einem Überfall auf das Dorf Sidi Hadjeres in der südwestalgerische Provinz M'Sila ermordet.

Die jetzt bekanntgewordenen Massaker und ähnliche Überfälle vor zehn Tagen, bei denen mindestens 46 Menschen ihr Leben verloren, beenden die relative Ruhe, die nach dem Ende der blutigen Terrorwelle im Fastenmonat Ramadan eingekehrt war. Über 1.000 Menschen waren während des Fastenmonats vor allem in Westalgerien ermordet worden. Die Armee durchkämmt das unwegsame Ouarsenis-Gebirge, wo die GIA- Kommandos vermutet werden. Ganze Landstriche werden dabei von Flugzeugen und mit Raketenwerfern ausgerüsteten Hubschraubern aus bombardiert. Dutzende von GIA-Camps und selbst ein Untergrundkrankenhaus seien dabei zerstört worden. Über die Zahl der Gefallenen auf seiten der radikalen Islamisten schweigt sich die Armeeführung ebenso aus wie über Verluste in den eigenen Reihen.

Nur einmal, vor über einem Monat, zum Auftakt dieser größten Militäroperation seit dem Ausbruch der Krise 1992, erlaubte die Armeeführung dem algerischen Staatsfernsehen den Zugang zur Region. Die Bilder von 19 gefallenen mutmaßlichen Terroristen wurden auch von den meisten europäischen Fernsehanstalten ausgestrahlt. Seither ist das Kampfgebiet Sperrzone. Die algerische Presse veröffentlicht widersprüchliche Zahlen. So vermeldete die regierungsnahe Tageszeitung El Moudjahid am vergangenen Sonntag 200 tote GIA-Mitglieder. Das den Bürgermilizen nahestehende Blatt L'Authentique spricht von 100. Und die größte Tageszeitung des Landes, Liberté, hält beide Angaben für „maßlos übertrieben“. Reiner Wandler