Eine Milliarde Kunden angepeilt

■ Zwei Finanzkonzerne mit gigantesken Zielen: Citicorp und Travelers Group fusionieren. Der Aktientausch im Wert von 280 Milliarden Mark versetzt die Börsianer weltweit in Aufregung

Berlin/New York (taz/dpa) – Sanford I. Weill ließ sich von seiner eigenen Großartigkeit mitreißen, schließlich hatte er gerade erfolgreich eine riesige Konzernfusion angestoßen: „Unser Ziel im Laufe des nächsten Jahrzehnts ist die Ausweitung der Kundenzahl auf eine Milliarde“, sagte am Montag in New York der Chef der US- Gruppe Travelers, als er auf einer Pressekonferenz Details der größten Firmenfusion in der Finanzgeschichte erläuterte.

Travelers verkauft weltweit Versicherungen, ist aber auch Besitzer des Brokerunternehmens Smith Barney und der Investmentbank Salomon Incorporated. Der neue Partner ist die Citibank Corporation, die zweitgrößte Bank der USA und ebenfalls weltweit präsent. Mit 60 Millionen Stück gibt die Citibank zum Beispiel mehr Kreditkarten heraus als weltweit irgendeine andere Organisation. Die beiden Unternehmen werden in Zukunft Citigroup heißen und haben derzeit zusammen 70 Millionen Kunden in den USA und 30 Millionen in anderen Ländern. Sie müßten diese Zahl also verzehnfachen, um das ehrgeizige Ziel eine Milliarde zu erreichen. Da haben Branchexperten ihre Zweifel, ob das gelingen wird.

Zuerst müssen sowieso noch die Kartellbehörden zustimmen. Ein noch aus der Depressionszeit datierendes Gesetz verbietet den Zusammenschluß von Banken mit Versicherungsgesellschaften in den USA. Der bisherige Citicorp- Boß John Reed geht aber davon aus, daß der Zusammenschluß von der Notenbank Federal Reserve genehmigt wird. Citigroup wird nach Reeds Angaben die Umwandlung in eine Bankholdinggesellschaft beantragen. Nach bestehenden Vorschriften müssen sich Holdings innerhalb von zwei bis fünf Jahren von Aktivitäten trennen, die laut Kartellbehörde den Markt zu sehr beherrschen würden. Reed und Weill als künftige gemeinsame Bosse der Citigroup setzen darauf, daß diese aus den dreißiger Jahren stammenden Regeln deutlich liberalisiert werden. „Man braucht nur nach Europa und Asien zu schauen, wo es Unternehmen wie das unsrige längst gibt“, sagte Reed mit Bezug auf Universalbanken wie die deutschen Großbanken.

Die Ankündigung der Fusion hat die Finanzmärkte weltweit in Aufregung versetzt. Der Wert der Aktien der beiden Konzerne beträgt zusammen 155 Milliarden Dollar (280 Milliarden Mark). Damit wären sie das wertvollste Unternehmen des gesamten Versicherungs- und Bankensektors noch vor der Bank von Tokio/Mitsubishi. Die neue Nummer eins verwaltet Vermögenswerte in einer Höhe von 700 Milliarden und verbuchte 1997 einen Betriebsgewinn von 7,8 Milliarden Dollar. Mit der 155-Milliarden-Fusion liegt die künftige Citigroup fast doppelt so hoch wie die bisher größte Firmenehe zwischen den Telekomunternehmen WorldCom Incorporated und MCI Communications Inc für 37 Milliarden Dollar, die im November bekanntgegeben wurde. Wie immer bei solchen Megafusionen phantasieren die Aktienhändler über das Verschmelzen anderer Firmen auf dem Sektor. Die Bankaktien steigen also und nehmen die Aktienindizes mit auf neue Rekordhöhen. Deshalb schloß der Dow-Jones-Index der Wall Street vorgestern erstmals in seiner Geschichte über 9.000 Punkten, und auch der Frankfurter Dax schwang sich gestern zu neuen Höhen auf.

Die Börsianer spekulieren auf eine Steigerung des Gewinns durch die Fusion. „Mit diesem Zusammenschluß schaffen wir ein Modell für Finanzdienstleister der Zukunft“, sagte Travelers-Group- Chef Sanford Weill. Die Kunden in 100 Ländern sollen an einem Bankschalter alle denkbaren Finanzdienstleistungen erhalten – vom Reisescheck bis zur Finanzierung einer feindlichen Übernahme eines Konkurrenten. Durch die Fusion sollen die Kosten sinken: Eine Milliarde Dollar pro Jahr wollen die beiden Firmenchefs sparen. Da werden einerseits die Kosten für die Entwicklung teurer Banken-Software geteilt. Andererseits werden Beschäftigte abgebaut. Ob es mehr das nun doppelt vorhandene obere Management trifft oder die Sachbearbeiter vor Ort, war gestern noch unklar. rem Kommentar Seite 12