Krieg der Generationen

■ Auf den „Brasilianischen Filmtagen“im 3001: das aufbegehrende Kino vom Äquator

Bedrohung und Befreiung, Unterdrückung und Aufbegehren. Darum kreist auch in diesem Jahr ein Großteil der Filme, die auf den „Brasilianischen Filmtagen“im 3001 gezeigt werden. In A Ostra e o Vento (Die Auster und der Wind) löst sich die junge Marcela, die von ihrem Vater auf einer Insel von der Außenwelt ferngehalten wird, langsam aus ihrer Isolation. Miramar beschreibt das Erwachsenwerden eines Filmemachers, und der Thriller Fica Comigo (Bleib bei mir) entfaltet seine Schrecken vor der Kulisse eines chaotischen Generationenkonflikts.

Höhepunkt der Reihe ist der vielfach preisgekrönte und umstrittene Um Céu de Estrelas (Ein Himmel voller Sterne) nach dem gleichnamigen Roman Fernando Bonassis. Sao Paolo, eine zersplitterte Stadt: Moderne Büro-Hochhäuser überragen die Hütten des Elends. Minutenlang fährt die Kamera verfallene Industriegebäude ab; zu archaisch verfremdeten Stadtgeräuschen zeigt sie aufdringliche Großaufnahmen von Gesichtern. Der experimentelle Vorspann baut eine Atmosphäre der Bedrohung auf, die sich wie ein Schleier über den Film legt. Die Friseuse Dalva hat sich von ihrem Freund getrennt. In einer Reise nach Miami sieht sie den Ausweg aus ihrem perspektivlosen Leben – und die Befreiung von ihrer dominanten Mutter. Als ihr Freund ein letztes Mal in ihrer Wohnung auftaucht, wird sie von widersprüchlichen Gefühlen zerrissen, läßt sich in einen Strudel aus Sex und Gewalt ziehen.Voyeuristisch und ohne Kommentar zeigt die Regisseurin Tata Amaral, wie sich Dalva selbstquälerisch dem krankhaften Besitzwillen ihres Ex unterwirft. Obszön schwankend folgt die Kamera den Kämpfenden durch die Enge der Wohnung. Aus nächster Nähe entstehen peinigende Bilder, die den Betrachter zur eigenen Positionierung zwingen. Nach der Vorstellung kann mit dem Autor der Romanvorlage Fernando Bonassi, der anläßlich der Inszenierung seines Stücks Subúrbio im Schauspielhaus in Hamburg weilt, diskutiert werden.

Als einziger Film zweimal zu sehen ist O Velho – A história de Luis Carlos Prestes (Der Alte – die Geschichte von Luis Carlos Prestes). Der Dokumentarfilm erzählt vom wechselvollen Leben eines kommunistischen Aktivisten. In konventioneller Machart – viele Fotografien sowie Interviews mit Zeitzeugen und Historikern – werden geschichtliche Zusammenhänge und militärische Vorgehensweisen erhellt. Blaß bleibt hingegen das Bild des Proträtierten. In portugiesischem Sprachduktus hetzt der Film von einem Ereignis zum nächsten, was das Verständnis der für Sekunden aufblitzenden (englischen) Untertitel zur Konzentrationsübung macht.

Da stimmt der Titel A Placa Nao Fala (Schilder sprechen nicht) schon optimistischer. Wie auch Jane Moraita beschreibt er das Leben der Waiapi-Indianer in Brasilien, die erst 1973 offiziell mit der weißen Bevölkerung in Kontakt getreten sind. Das Abschluß-Bonbon: Der indianische Regisseur Kaisiripina ist für die Diskussion im Anschluß an die Vorführung eigens vom Äquator angereist.

Sabine Claus

A Ostra e o Vento: Do, 9.4., 20.30 Uhr; Miramar: Fr, 10.4., 20.30 Uhr; Fica Comigo: Sa, 11.4, 20.30 Uhr; Um Céu de Estrelas/Vorfilm: Amor Materno: So, 12.4., 20 Uhr (!); O Velho: Mo, 13.4. und Di, 14.4, 20.30 Uhr; A Placa Nao Fala/Jane Moraita: Mi, 15.4., 20.30 Uhr