Verreisen ins nördliche Nirwana

■ Neu im Kino: „Eggs“von Bent Hamer / Im Kino 46 kann man sich in zwei alte Eigenbrötler verlieben / Und zu Ostern gibt's Schokoeier, vorausgesetzt, Sie finden sie

Ekelhafte Geschöpfe wie Leonardo DiCaprio bekommen wahrscheinlich ihr erstes Filmangebot mit sechseinhalb Jahren. Anbetungswürdige Menschen wie Kjell Stormoen dagegen denken erst mal nach. Das dauert. Und so landete Stormoen erst im reifen Alter von 76 Jahren in seinem ersten großen Film. Spät, aber immerhin.

Wenn sich der unsympathische pinkfarbene Glitzervorhang des Kino 46 beiseite schiebt, trifft das Auge des Zuschauers aber keineswegs unvorbereitet auf Stormoens sympathischen, straffsitzenden Bauch. Zunächst einmal wird der Blick religiös-meditativ gestimmt durch ein wahrhaft herzergreifendes abendliches Graublau. Diese Farbe ist gegossen über eine norwegische schneefreie Landschaft mit Schneepflug und vereinsamter Bushaltestelle.

Norwegische Filme sollte man, genau wie isländische Filme, prinzipiell nicht versäumen. Besonders dann, wenn man sich für die europäischen Nachbarn interessiert, aber leider nur das Geld hat für Stand-by-Flüge ins TUI-Teneriffa. Das macht nämlich rein gar nichts; denn ein Film wie Bent Hamers Erstlingswerk „Eggs“erzählt alles Wesentliche über die nördliche Existenz in stiller Weltabgeschiedenheit. Zum Beispiel, welche Bommel der Norweger auf seinem Hausschuh trägt (beige!), welche Weste zu welchem Hemd kombiniert werden kann (immer kleinkariert auf kleinkariert!), welche Gardinen den romantisch-sehnsüchtigen Fensterblick umrahmen (hauchzarte!) und wo ein alter Mann seine 0,5l-Wodkaflasche versteckt (na, im Schrank natürlich!). Die kommt eigentlich nur einmal wöchtlich zum Einsatz, nämlich kurz vor dem Besuch der hübschen Putze, ganz unschuldig, um das Zuschauen beim Putzen ein wenig seliger auszugestalten. Vor allem aber erfährt man, daß Reisen (egal ob nach Norwegen oder Teneriffa) nicht zu den wichtigen Dingen des Lebens zu zählen sind.

Wesentlich hingegen sind der täglich bediente Wasserhahn, die täglich beschrittene Treppe, der täglich gekippte Radioschalter und ein komplett arbeitsloses Telefon. In diesem Film, der übrigens – dies nur ganz nebenbei – von einem in Würde gealtertem, eheähnlich existierenden Brüderpaar handelt, gibt es auch Andeutungen von dem, was man gemeinhin Lebensgeschichte nennt. Nach 20 Minuten Handlungsnirwana taucht ziemlich unvermittelt ein unehelicher Sohn auf, außerdem seltsame Vorlieben für unausgebrütete Eier und Milchshakes, eine Querschnittslähmung und anschließende mysteriöse Heilung, eine verstorbene Mutter, ein unerklärlich blutender Mund, ein angeknackster Nacken und schließlich eine große Trennung und ein nächtlicher Aufbruch.

Der Film verweigert aber in seiner wunderbaren bürgerlichen Diskretion jeden Hauch einer Andeutung der Hintergründe und Zusammenhänge. Niemals würde er ausplaudern, wie Kjell Stormoen zu seinem Sohn gekommen ist. Eine wohlige Decke Alltag lagert sich sich über alle Besonderheiten. Dafür scheut sich Bent Hamer nicht, intime Gewohnheiten zu verraten. Endlich einmal erfährt man, wie andere Menschen mit Klopapier hantieren. Stormoen reißt zwei Blätter ab und legt sie einmal zusammen. Überhaupt: Systematisch wird der Zuschauer sensibilisiert für hunderterlei Kleinigkeiten. Da gibt es Tage, an denen im Radio auf allen Sendern nur Beatles „Yesterday“läuft. An Weihnachten sollte man in der Bibel die Hiobsgeschichte voller Armut und Krätze lesen. Und wenn die Autoheccklappe klemmt, erzählt das Radio garantiert von den Wundern der Technik bei der Apollomondlandung. Über allem aber schwebt ein nächtlicher Himmel. Und darin tanzen die Sterne. Barbara Kern

9.-11.4. 20.30 Uhr, 12.-14.4. 18 Uhr. Am Sonntag sind im Kino Eier versteckt