Nicht zweifeln, sondern glauben

Was evangelische Pfarrer so alles unternehmen, um ihre Schäfchen am Sonntagmorgen zu erbauen: Ein Streifzug durch Berlins Kirchen während der Passionszeit  ■ Von Ralph Bollmann

„Wenn man hierher in den Dom kommt“, sagt der Pfarrer, „dann sieht man viel Schönes.“ Nun ist Schönheit bekanntlich Geschmackssache, und für den Berliner Dom ist es vielleicht der falsche Begriff. Er ist das steingewordene Bündnis von Thron und Altar: Über dem Chor erheben sich die Statuen der Reformatoren, ihnen gegenüber stehen die protestantischen Fürsten, die mit dem Schwert in der Hand die Reformation für ihre politischen Zwecke zu nutzen verstanden. Die Emporen verraten die versteckten T-Träger, denn bei ihrer völlig unbarocken flachen Wölbung könnten sie sich niemals selbst tragen. In diesem Haus ist alles Ideologie und Schein, Lug und Trug.

Doch der Pfarrer, winzigklein in der großen neobarocken Kanzel, läßt sich davon nicht beirren. Er mahnt die Gemeinde, die „Schönheit“ nicht zu betrachten „wie ein Museum“, sondern „als Erinnerung an das, was wir von Gott her, sofern wir als Christen leben wollen, sein dürfen und sind“. Gott sei nicht bloß „eine Art Gefühl für gewisse Stunden“, warnt er. An allem dürfe der Mensch zweifeln, nur nicht an der „Liebeserklärung“ Gottes. Der Sonntag sei ein Zeichen, daß „wir nicht verurteilt sind, so weiterzumachen wie bisher“. Kaum hat er das gesagt, klingelt im Gotteshaus ein Handy.

Zum Gottesdienst ist ein eher gesetztes Publikum in den Dom gekommen, meist ältere Leute in älteren Anzügen. Die Atmosphäre wirkt wenig sakral, zu frisch ist noch die Farbe der erst 1993 wieder eingeweihten Kirche, zu neu die wuchtigen Holzbänke, die kreuz und quer über den Zentralbau verteilt sind. Am Rand sitzen einige Leute, die bei den Gebeten nie aufstehen und sich eher für den Raum als die Messe interessieren. Dabei ist doch das Personal am Eingang darauf bedacht, nur echte Gottesdienstbesucher hereinzulassen, denn zu anderen Zeiten ist Eintrittsgeld fällig.

Weit weniger gesetzt geht es in Friedrichshain zu. Die Samaritergemeinde feiert ihren Gottesdienst nicht in der Kirche, sondern im Vorraum. Der aber ist bis auf den letzten Platz besetzt. Viele jüngere Leute, viele selbstgestrickte Pullis. Statt einer Orgel spielt der Posaunenchor. Während der Predigt stapft ein rothaariges Kind um Kanzel und Altar. Als es darunter durchlaufen will, stößt es sich den Kopf an. Unterdessen mahnt Pfarrer Peter Sedler, die „Augen offenzuhalten“.

Sedler predigt eher pädagogisch als erhaben, setzt mehr auf Lebensnähe als Erbauung. Mehrmals bezieht er sich auf die Bibelwochen, in denen sich die Gemeinde mit dem Propheten Elia beschäftigt. An der Wand hängt eine selbstgemalte Karte mit den „Wegen des Elia“. Der war „ein ziemlich kompromißloser Prophet“, sagt Sedler – und denkt dabei wohl auch an die Rolle der Gemeinde in der DDR. Auch heute noch liegt am Eingang eine Broschüre „Asyl in der Kirche“ aus.

„Mitten in unserer Welt“ sieht auch Pfarrer Knud Soppa an der Gedächtniskirche das „Haus Gottes heute“. Leider gibt es in seiner Gemeinde „immer weniger Menschen, immer weniger Geld“. Jetzt geht Soppa in den Vorruhestand, damit die Kirche 100.000 Mark pro Jahr spart. Er will zwar unentgeltlich weiterarbeiten, doch als „öffentlich-rechtlicher Pfarrer“ ist es sein letzter Gottesdienst. Da läßt sich ein bißchen Kitsch kaum vermeiden. „Man sieht nur mit dem Herzen gut“, zitiert er aus „Der kleine Prinz“. Als Kollekte wünscht sich Soppa Spenden für den Spielplatz der Gemeinde-Kita. „Gib doppelt soviel als du willst“, sucht er die Geldbörsen zu öffnen, „es ist halb soviel als du müßtest.“

Foto: Ollertz + Stauss