Political correctness, zerebrales Rauschen, Doppelkopf Von Joachim Frisch

Ich spürte, wie in meinem Gesicht die Schamesröte aufstieg, ein Gefühl, das ich eigentlich als unangenehme Erscheinung eines vergangenen Lebensabschnitts abgehakt hatte. Als „politisch korrekt“ hatte man eines meiner Argumente entlarvt – ich kann mich nicht mehr genau erinnern, ob ich damit die Frauenbewegung verteidigt oder Harald Schmidt kritisiert hatte – jedenfalls hob prompt schrilles Gejohle und triumphales Fingergezeige an, „politisch korrekt! politisch korrekt!“, riefen alle wie aus einem Munde, es fehlte nur noch „Ätsch, erwischt!“

Politisch korrekt, salopp p.c. ausgesprochen, gilt heutzutage in den Kreisen der Leute, die sich auf der Höhe der Zeit wähnen, als ähnlich vernichtendes Urteil wie vor 20 Jahren reaktionär. Wer als p.c. enttarnt ist, hat verschissen, ist ein frömmelnder Streber und intellektueller Versager. Ein schnell in die Runde geworfener Blondinen- oder Polenwitz hätten noch etwas retten können, doch mir fallen nie Witze ein, schon gar nicht in Momenten der Demütigung.

Natürlich war der Abend gelaufen, durch politisch korrektes, also inkorrektes Argumentieren hatte ich mich vorerst aus dem Kreise der Drübersteher und Durchblicker verabschiedet. Auf dem Heimweg begann es hinter meiner blassen Versagervisage zu rumoren. Ich fing an, aus den wahllosen Gedanken die brauchbaren auszusortieren und als Munition gegen die Peiniger zu sammeln. Ich definierte den politisch Korrekten, das Feindbild des politisch Abgebrühten, als unfähig, die in unserer Zeit notwendige Dosis Zynismus aufzubringen, die ihn vor Idiotie, Religiosität oder beidem schützt. Die militante Verachtung der P.C. aber ist nur die Kehrseite der Medaille, sie schafft ein Feindbild, vor dem Neunmalkluge sich die Illusion intellektueller Autonomie und Originalität aufbauen, dachte ich. Sie wähnen sich als Avantgarde, die sich über die blökende Herde der politisch Korrekten lustig macht, dabei sind sie längst selbst eine Herde, die dumpf „p.c.“ blökt, sobald jemand mit einem Argument moralischer Provenienz aufwartet.

Leidenschaftlich rennt der Verächter der P.C. offene Türen ein und richtet sein narzißtisches Ego an der vermeintlich intellektuell reflektierten moralischen Verkommenheit aus, die ihm das Gefühl der Überlegenheit gegenüber dem moralisch sich vollkommen Wähnenden verleiht, genau. Armselige Würste vereinigen sich mit armseligen Würsten, um in der Masse armseliger Würste an der Macht der imaginierten Superwurst teilzuhaben. Sie berauschen sich am Spott über den Reglementierungswahn und sind ständig auf der Suche nach denjenigen, die ihre vulgäre P.C.-Verbotsregel verletzen. Es geht ihnen wie so vielen subkulturellen Bewegungen: Gestartet als kreative Opposition, brutzeln sie nun selbstzufrieden in ihrem Saft und liefern den Reaktionären Futter, so ist es doch wohl.

Peinlich. Hier schloß sich der Kreis der von Ärger, Scham und schätzungsweise 1,5 Promille in meinem Hirn geformten Tirade, die ich den Großmäulern beim nächsten Treffen derart vor die Köpfe stoßen würde, daß diese rot wie die Osrambirne des Jupp Heynckes glühen sollten.

Bei diesem nächsten Treffen waren wir zu viert, und es ergab sich eine schöne Partie Doppelkopf. Ich hütete mich, diese mit dem Thema P.C. zu gefährden.