Orte der Begegnung

■ Anthroposophische Buchläden haben es schwer – obwohl ihr Publikum viel liest

„Die Anthroposophen – das gibt es ja gar nicht.“ Also, könnte man Manfred Kannenberg- Rentschler ergänzen, gibt es auch keine anthroposophische Buchhandlung. Er und seine Kompagnons jedenfalls „haben immer versucht, diesen Stempel zu vermeiden“. Und trotzdem, gibt er zögernd zu, paßt das Etikett auf seine „Bücherei für Geisteswissenschaft und soziale Fragen“ am Berliner Mexikoplatz, „rein pragmatisch betrachtet“, eben doch.

Rund ein Drittel des Bestands und ein ebenso hoher Anteil der Kundschaft stammen aus dem anthroposophischen Umfeld. Diese Käufer sind keineswegs eine homogene Gruppe, aber es gibt durchaus bestimmte Merkmale, die gerade ein Buchhändler an ihnen schätzt: Anthroposophen lesen überdurchschnittlich viel. Das bestätigt auch Birgit Philipp vom „Bücherkabinett“. Ebenfalls ein anthroposophischer Buchladen, oder besser: einer mit einer anthroposophischen Abteilung, die aber ein Gutteil der Verkaufsfläche einnimmt und außerdem prägend für die lange Tradition des Geschäfts war: Schon 1926 übernahm die Berliner Jüdin Dorothee Herrmann das Bücherkabinett, und seitdem gilt es in einschlägigen Kreisen als gute Adresse.

Das alteingesessene Geschäft in Ku'damm-Nähe und die 1976 „auf absolut unprofessionelle Weise“ (Kannenberg-Rentschler) von einigen Studenten gegründete Bücherei für Geisteswissenschaften verbindet rein äußerlich kaum etwas miteinander, und auch der „Anspruch“ ist ein ganz anderer. Hier scheint er eher gediegen, ganz der einer Fachbuchhandlung, dort ist er durchaus politisch links-alternativ. Und doch gibt es eine Gemeinsamkeit: Auch wenig auflagenträchtige Titel werden breit präsentiert. „Die Themen“, meint Kannenberg-Rentschler, „bestimmen wir und nicht Holtzbrinck.“

Womit denn auch ein Wesensmerkmal des „anthroposophischen“ Buchhandels beschrieben wäre, das er mit allen guten Fachgeschäften teilt. „Wir sind“, so Birgit Philipp, „im weitesten Sinne ein Ort der Begegnung.“ Der Maximierung von Gewinnspannen ist das natürlich nicht förderlich, was der kleinen und mit wenig Laufkundschaft gesegneten Bücherei für Geisteswissenschaft noch mehr Probleme bereitet als dem Bücherkabinett. „Diese Art von Buchhandlung“, prophezeit Kannenberg-Rentschler, „ist auf dem absteigenden Ast.“ Und mit „dieser Art“ meint er nicht etwa speziell die anthroposophische, sondern die gute Buchhandlung im allgemeinen. Jochen Siemer