Toast und Leichenberge und Nachrufe für die Zeitungen

■ Wenn die erste journalistische Erfahrung ein Interview mit Jimi Hendrix ist: „Einfach so“, der Debütroman der New Yorkerin Lily Brett

„Edek Zepler hatte früher immer polnische Mädchen gebumst. Er hatte sie im Stehen in den Fluren der Häuser gebumst, in denen sie arbeiteten.“ Na, das kann ja ein nettes Buch werden, denkt man bei diesem Anfang. Sex, Sex, Sex, aber schnell macht die Erzählerin Esther, Tochter des bumsenden Edek Zepler, deutlich, daß sie persönlich es gern etwas gesitteter hat: „Esther war sich nicht einmal sicher, wie man im Stehen bumste. Sie stellte es sich sehr unbequem vor.“ Und Unbequemlichkeiten wünscht sich die brave Tochter aus jüdischem Hause für ihren Dad ganz bestimmt nicht: die haben er und seine Frau im KZ schon genug gehabt. „In den Konzentrationslagern dachten die Häftlinge nicht an Sex.“ Ist sie sich da sicher?

Lily Brett, 1946 in Deutschland geboren, hat einen Roman verfaßt, bei dem man sicherlich hübsch rumforschen könnte, was daran autobiographisch ist. Ihre Eltern heirateten im Ghetto von Lodz, wurden in Auschwitz auseinandergerissen, überlebten und fanden sich ein halbes Jahr nach Kriegsende wieder.

In Bretts Debüt-Roman schreibt Esther Nachrufe für diverse Zeitungen. Die meisten ihrer Freunde verstehen nicht, daß genau das ihre Methode ist, sich mit dem Leben zu beschäftigen. Aber trotzdem fragen alle: Weshalb schreibst du über Tote?

Erste journalistische Praxis erwarb Brett, wie auch ihre Figur Lily, mit „Rock&Pop“-Geschichten. Brett lebte in Australien, bevor sie nach New York zog. Schon mit 19 interviewte Lily Jimmy Hendrix oder Janis Joplin.

In Kanada, Australien und Großbritannien stand der Roman lange in den Bestsellerlisten. Inzwischen ist eine Verfilmung geplant. Erfolg dürfte diese recht flott, ohne überflüssige Schnörkel runtererzählte, öhm, Frauengeschichte vor allem wegen ihrer teilweise überraschenden Breaks haben. Seitenlang unterhalten sich Esther und Freundin Sonia über Schwangerschaft, langsame Spermien, künstliche Befruchtung und halbgeöffnete Muttermünder, daß man sich schon in der Cosmopolitan-Schwatzanleitungsecke fühlt. Dann plötzlich der Oral-history- Hammer aus der Dunkelkammer. Redete Esther gerade noch über Verdauungsprobleme durch Bagels zum Frühstück, ist sie im nächsten Satz bei der „unkontrollierten Darmentleerung in den Gaskammern“. Toast und Leichenberge, Hausfrauen und Holocaust. Da kann die Verdauung schon mal mit einem durchgehen. Oder wie ihrem Vater Edek, neben dem Essen und Parklücken, zum Dauerthema werden. Der hält sich für eine „alte Kacke“ und macht sich nach jedem Flug von Australien nach Amerika, wo er sich als Witwer spät noch einmal verliebt in eine „rajche Frau“, Sorgen, ob er „große Stücke“ ins Klo kriegt. Tochter Esther ist das peinlich. Ebenso wie die Vorstellung, ihr Vater könnte „dynamischen“ Sex haben.

Dem Terror der Erinnerung kann kein Überlebender entgehen, das ist die nicht ganz neue Quintessenz von Bretts Roman. Daß Esther deutsche Produkte boykottiert, aber Dr.-Oetker-Kuchen ißt, weil sie denkt, der käme aus Holland, ist ein Indiz für Bretts Art, ihr manchmal hart am Rande der Trivialität entlangschrappendes Werk mit einigen Prisen Ironie abzuschmecken. Die fehlt an anderen Stellen leider: „Er hatte einen schwarzen Vater und eine jüdische Mutter. Gene, die das Beste oder das Schlechteste beider Welten enthalten konnten.“

Das Versprechen des fulminant bumsigen Einstiegs löst die Autorin nicht ein. Da sind wir härteren Stoff gewohnt. Wenn Miss Esther Zepler schon regelmäßig zur Psychoanalyse geht, hätte Brett vielleicht nur etwas mehr Mut gebraucht, um zum Beispiel über New Yorker Juden zu schreiben, die sich von Nazi-Dominas auspeitschen lassen. Die soll es ja auch geben. Vielleicht hatte die Autorin auch nur Angst, daß ihr Vater ihr Buch dann nicht mögen würde. Jetzt wird er es lieben. Andreas Becker

Lily Brett: „Einfach so“. Roman. Deuticke Verlag, Wien-München 1998, 446 Seiten, 50 DM