„Ich möchte ein Eisbär sein“

Über den Eishockeyverein Eisbären Berlin sind viele, nicht besonders angenehme Klischees im Umlauf. Die Betroffenen möchten sich aber nicht so einfach kategorisieren lassen  ■ Aus Berlin Tim Kesting

Rot, Weiß, Türkis, Bordeaux – die Farbenwahl ist nicht so wichtig im Sportforum Berlin-Hohenschönhausen. Dafür haben die Eisbären in den letzten Jahren einfach zu oft die Trikots gewechselt. Hauptsache, man ist auf der richtigen Seite. Und möglichst laut. Die ganze Zeit. Egal wie's steht. Für unterstützende Musik vom Band ist auch gesorgt („Ich möchte ein Eisbär sein, am kalten Polar!“). Bis lange nach Abpfiff geht das so.

Helmut Berg ist auch immer dabei. Er redet gern. Das bringt wohl sein Beruf als Vermögensberater mit sich. Am liebsten redet er über seine große Leidenschaft: den Eishockeyclub Eisbären Berlin, der heute abend um 19 Uhr im ersten Halbfinal-Playoff um die deutsche Meisterschaft zu Hause auf den EV Landshut trifft.

Seit 1991 ist Berg Präsident des EHC. Erzählt er von den vermeintlichen Feinden des Vereins, wird sein Tonfall noch etwas engagierter. Die Fronten werden schnell hörbar. Berliner Politiker, in diesem Fall Politikerinnen, kommen nicht gut weg bei ihm. Das dürfte auf Gegenseitigkeit beruhen. So würden sich Sportsenatorin Ingrid Stahmer und Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (beide SPD) beharrlich weigern, eine Alternative für die Eishalle des EHC zu finden. Aber der „Wellblechpalast“ mit seinen gut 4.300 Plätzen sei nicht mehr ausreichend. „Das Velodrom ist vorhanden und steht die meiste Zeit leer. Ein eishockeykompatibler Umbau ist mit den beiden Frauen aber nicht zu machen“, ärgert sich Berg, „deswegen können wir wohl lediglich die vorhandenen Kapazitäten auf 6.500 Plätze aufstocken.“

Die Fans scheinen sich um die Zukunft der Heimstätte ihres Vereins keinen sonderlichen Kopf zu machen. Sie sind mit der etwas beengten, äußerst intimen Atmosphäre sehr zufrieden. Eine ganz andere Front ärgert sie: die der Medien. Seit etlichen Monaten finden sie sich immer in ein und derselben Schublade wieder. Das stinkt ihnen gewaltig. Erst vor einigen Wochen konnten sie im Crime-Slime-Magazin „Spiegel TV“ mitansehen, wie sie wirklich sind: arbeitslos, ostalgisch und obendrein auch noch rechts beziehungsweise PDS-Fans. Bereits Anfang letzten Jahres konnten sie ähnliches ausführlich in einem Artikel des gleichnamigen Hamburger Nachrichtenmagazins nachlesen. André Haase, Vorsitzender des Fanclubs „Strandgut“ und Mitherausgeber des Fanzines Eis-Dynamo, sagt: „Natürlich gibt es bei uns auf den Rängen Trümmerglatzen neben Gib-Nazis-keine- Chance-Aufnäher-Punks.“ Wie in anderen Vereinen auch. Das Besondere bei den Eisbären sei bloß, daß „sie dort friedlich nebeneinanderstehen“.

Seit kurzem reagieren immer mehr Anhänger des EHC auf die öffentlichen Anfeindungen, indem sie mit Transparenten darauf aufmerksam machen, daß sie nicht länger in eine gewalttätige rechtsradikale Ecke gestellt werden wollen. Birger Schmidt, Sozialpädagoge im größtenteils senatsfinanzierten Fanprojekt Berlin, weist darauf hin, daß es polarisierte Fangruppen zum Beispiel auch bei Hertha BSC gebe. Berichtet werde darüber allerdings eher selten. André Haase ist darum bemüht, auch das andere Klischee, zu den Eisbären gingen lediglich Ostberliner Arbeitslose und Wende-Loser, argumentativ zu entkräften: „Wer sich mehrmals die Woche für 22 Mark eine Stehplatzkarte kaufen kann, ist mit Sicherheit kein Verlierer der Einheit.“ Schmidt fügt hinzu, bei den Menschen auf den Tribünen herrsche im Gegenteil das Gefühl: Wir haben's geschafft. Und damit ist mit Sicherheit nicht nur das Erreichen der Play-offs gemeint.

Lorenz Funk, der Bad Tölzer Manager des EHC, kann dieses Gefühl der Genugtuung sehr gut nachvollziehen: „Jahrelang sind das Team und die Fans, egal wo sie hinkamen, als doofe Ossis und Stasi-Schweine beschimpft worden. Jetzt sind alle froh, den Konkurrenten mal eins ausgewischt zu haben.“ Einer der schärfsten, die Capitals, nur ein paar Kilometer weiter westlich in Charlottenburg nahe dem Büro von EHC-Präsident Berg angesiedelt, sah diese Saison besonders alt aus. Über Jahre hinweg die Nummer eins in der Stadt, gingen sie nicht nur fast pleite, sondern verpaßten erstmals seit langem die Play-offs.

Funk, der diesem Verein als Spieler und Funktionär angehörte, ist aber alles andere als schadenfroh darüber: „Die Preussen hätten ihren Namen nicht abgeben dürfen. Mit der Charakterisierung Capitals kann sich doch niemand mehr identifizieren.“ Die Umbenennung als Sympathieverlust. Funk kennt die Problematik aus dem Osten der Stadt. Aber während die Transformation der Preussen in Capitals einen negativen Imagetransfer bedeutet habe, habe die Umbenennung des BFC Dynamo in Eisbären positive Folgen gehabt. „Ohne diese Änderung hätten wir nie Sponsoren bekommen.“ Und Berg fügt hinzu: „Der neue Name war unbedingt notwendig. Die potentiellen Sponsoren trauten sich doch anfangs ohnehin schon nicht nach Hohenschönhausen. Das war für die total unbekanntes Gebiet.“

Diese Aussage vertuscht, daß ein Großteil der Fans mit dieser Metamorphose nicht einverstanden war und sich überrumpelt fühlte. War das Verhältnis zwischen Vorstand und Fans daraufhin zwischenzeitig sehr gespannt, ist es mittlerweile wieder unproblematischer. André Haase begründet: „Der Präsident kann sich auf die Fans verlassen, weil wir beide gemeinsam bei Null angefangen haben.“ Das sieht Berg genauso: „Wir stehen in gutem Kontakt miteinander. Der EHC ist eben Kommunikation. Deswegen haben wir momentan solchen Erfolg.“

Und an dieser Kommunikation sind alle beteiligt. Zumindest haben alle das Gefühl, beteiligt zu werden. Zwischen Präsidium und Fans finden in unregelmäßigen Abständen informelle Treffen statt. Lorenz Funk kümmert sich persönlich um organisatorische Probleme bei Fanfahrten zu Auswärtsspielen, und die Spieler bedanken sich für die Unterstützung, indem fast kein Match vergeht, nach dem das Team nicht zur Ehrenrunde erscheint und die hibbelig auf der Bande wartenden Fans abklatscht.

Diese Harmonie, gespielt oder nicht, hat auch ehemalige Capitals- Fans aufmerksam werden lassen. Horst Bosetzky, als populärer Krimiautor unter dem Kürzel -ky bekannt, stand eigentlich aus subjektiv historischen Gründen („Beim Berliner Schlittschuh-Club, dem Preussen-Vorgänger, spielte immer ein gewisser Borsutzky. Bei dieser Ähnlichkeit mußte ich einfach Fan sein.“) eher auf seiten der Capitals. Borsutzky spielt nicht mehr, die Capitals zur Zeit eher schlecht, da bot es sich an, den Eisbären die Daumen zu drücken. „Auch so zur Ost-West-Integration.“