Countdown in Nordirland läuft

■ Nach dem Mord an einem Loyalisten ringen die nordirischen Parteien weiter um einen Friedensplan. Viel Zeit bleibt nicht mehr. Heute nacht soll das Abkommen unterzeichnet werden

Dublin (taz) – Krieg und Frieden in Nordirland: Während die Parteien in der britischen Krisenprovinz um eine Übereinkunft rangelten, ermordete die republikanische Splittergruppe Irish National Liberation Army (INLA) vorgestern den 34jährigen Trevor Deeney in Derry. Er sei Mitglied der Loyalist Volunteer Force (LVF) gewesen, behauptete die INLA. Deeneys Bruder sitzt im Gefängnis, weil er an dem Greysteel-Massaker beteiligt war, bei dem sieben Menschen getötet worden waren. Der britische Premierminister Tony Blair sagte, der neue Mord „müsse die Entschlossenheit aller Parteien bei der Suche nach einer Lösung“ stärken.

Die Frist dafür läuft heute um Mitternacht ab. Neben den Unionisten haben auch die loyalistischen Parteien, die zwei paramilitärische Organisationen vertreten, das bisher geheime Vorschlagspapier des Verhandlungsleiters, US- Senator George Mitchell, abgelehnt. Streitpunkt sind die gesamtirischen Institutionen, die mehr Macht bekommen sollen, als Loyalisten und Unionisten lieb ist – obwohl das Wort „Exekutivgewalt“ nicht vorkommt. John Taylor, Vizechef der Unionisten, sagte dennoch, er würde „das Papier nicht mal mit der Kneifzange anfassen“.

Unterdessen flog Blair vorgestern nach Belfast, um in Einzelgesprächen mit den Beteiligten zu retten, was noch zu retten ist. Sein irischer Amtskollege Bertie Ahern pendelte gestern zwischen Belfast und Dublin, weil er seine Mutter beerdigen mußte.

Vermutlich wird Mitchells Papier am Ende noch mehr verwässert, damit die acht Verhandlungsparteien heute nacht unterzeichnen können. Eine Verlängerung der Frist steht nicht zur Debatte. Doch was bedeutet eine Übereinkunft für die Zukunft Nordirlands? Wenn das Papier so vage ist, daß alle Seiten es als Sieg verkaufen können, wird man um die Interpretation streiten. Unionistenchef David Trimble hat bei den Verhandlungen keine Kompromißbereitschaft erkennen lassen, und die beiden anderen unionistischen Parteien von Pfarrer Ian Paisley und Bob McCartney haben nicht teilgenommen. Dann sind da noch die INLA und eine IRA-Abplitterung sowie die LVF. Und die wird den Mord an Deeney nicht ungerächt lassen. Ralf Sotscheck