„Opfer einer Beziehungskrise“

■ Prozeß um fünf Ratten, die auf rätselhafte Weise starben, und eine kaputte Liebschaft endet mit Freispruch

Die Anklage lautete auf Tierquälerei. Der 27 Jahre alte Sozialhilfeempfänger und Hobby-Rattenzüchter Jens D. habe seine fünf Nagetiere einfach „verenden lassen“. Doch hinter deren Tod steckt eher ein Beziehungsdrama.

Im Januar 1997 war Jens D. samt seiner Ratten in die Wohnung seines neuen Freundes Karl-Heinz L. auf St. Pauli gezogen. Einige Tiere kamen im Käfig in die Badewanne, die Jungtiere hausten in der Kochnische im Zimmer des Wohnungsinhabers. Die beiden Männer bekamen aber schnell Beziehungsknatsch. „Er zeigte sein wahres Gesicht“, so der arbeitslose 48jährige am Donnerstag vor dem Amtsgericht. „Ich war enttäuscht“, und „die Klauerei und ständige Sauferei“haben „das Faß zum Überlaufen gebracht“.

Karl-Heinz L. setzte seinen Freund schon nach drei Monaten wieder vor die Tür, doch der verschaffte sich per Gerichtsbeschluß Zutritt zur Wohnung – die Rattenfamilie verharrte derweil ausgesperrt auf dem Balkon. „Ich kam nicht zu ihnen, weil die Balkontür im Zimmer von Karl-Heinz ist“, verteidigte sich Jens D. Zudem hätte dessen Mutter im Balkonzimmer als Wachposten Quartier bezogen.

„Es war nie Futter da. Aber fürs Bier hat das Geld immer gereicht“, warf Karl-Heinz L. wiederum seinem Ex-Lebensgefährten vor. „Ich hatte selbst kein Geld und habe den Tieren mein letztes Knäckebrot gegeben.“

Die veterinärmedizinischen Untersuchungen brachten aber Mysteriöses zutage: Bei der Sektion der toten Tiere stellten die Tierärzte zwar leere Mägen fest, die Därme aber waren gefüllt. Nach Angaben der Gutachterin sei dies „ein in der Fachliteratur unbekanntes Phänomen“. Denn Ratten würden bei Hunger normalerweise eher ihren eigenen Kot fressen oder ihre Gattungsgenossen anfallen, als mangels Nahrung zu verenden.

Und so kam denn auch Staatsanwalt Bernd Maruschat zu der Auffassung, daß den Angeklagten doch keine Schuld treffe. „Es war keine Infektion, die Tiere sind auch nicht verhungert – der Tod bleibt rätselhaft“, erklärte der Ankläger.

Amtsrichter Wolfgang Schaake schloß sich dem an: „Die Ratten sind Opfer einer Beziehungskrise geworden. Freispruch!“

Kai von Appen