Trauriger, nöliger Mann unter HipHopMob

■ Zwischen Imbißschlange und VIP-Lounge: Dr. Blohm & Herr Voss beim „INTROducing '98“-Festival im Pier 2

„Intro“, das piefige, kostenschonend gedruckte Anzeigenmagazin für Popfreaks, überrascht seit Längerem durch das Veröffentlichen erstaunlich genialer, zwingend anschaffungspflichtiger Musik-Sampler. Da wird wild und geschmacksübergreifend gecrosst zwischen deutschem HipHop, Verspielt-Technoidem und Gitarrenpop, aber immer so eigen und angeschrägt, daß es auch der altmodische Indie-Fan gutheißen kann. Jetzt gab's das Konzert zur Platte.

Herr Voss: Sehen Sie all die Autos vorm Pier 2! Die kommen von überall her!

Dr. Blohm: Ja, das ausverkaufte All-Star-Konzert zur 50. Ausgabe des Gratis-Musikmagazins „Intro“hat eindeutig Ereignischarakter.

Voss: Und wir haben Teil daran! Ist das nicht aufregend?

Blohm: Da bin ich mir nicht so sicher. Am Eingang müssen Jungs und Mädchen getrennte Reihen bilden, um sich nach mitgebrachten Getränken und scharfen Gegenständen durchsuchen zu lassen. Das ist jugendkulturelle Massenabfertigung. Genau wie das musikalische Programm. Ein Konzept läßt sich in der Zusammenstellung der Bands nicht erkennen.

Voss: Es sind allesamt wichtige Gruppen und Interpreten aus Deutschland. Eine Art musikalische Standortbestimmung. Und das interessiert scheinbar nicht nur Deutsche. Wie wär's, wollen wir spielen, wer die meisten exotischen Nummernschilder findet?

Blohm: Nein.

Voss: Ich sehe einen aus Holland!

Blohm: Lassen Sie gut sein! Wir sollten endlich einen Weg hineinfinden; ich möchte auf keinen Fall „The Notwist“verpassen. Die einzige Band des Abends, die mich wirklich interessiert.

Voss: So, wir sind drinnen, und Ihre „Notwist“fangen gerade an. Hat doch alles geklappt.

Blohm: Bei „The Notwist“ist der Saal noch relativ leer, dabei machen sie wirklich sehr schöne Musik zwischen Tradition und Moderne. Intelligent-poppige Rockmusik mit gelegentlichen Kracheinlagen. Ein Saxophon hat da ebenso Platz wie ein bißchen Maschinengeknarze.

Voss: Zwischen den Bands werden die Maschinen erst richtig aufgedreht. In den Umbaupausen bitten DJs zum Tanz. Die Leute begreifen das aber nicht recht als Teil des Programms. Niemand tanzt.

Blohm: Mir tanzt bei diesen Bässen allenfalls der Magen. Lassen Sie uns draußen am Imbißstand etwas zu essen kaufen.

Voss: Oh je, sehen Sie diese Schlange!

(Eine beträchtliche Weile später)

Blohm: Ich habe das Gefühl, daß sich diese Schlange überhaupt nicht bewegt.

Wir stehen hier schon seit Ewigkeiten, und drinnen hat bereits die nächste Band angefangen.

Voss: Ich glaube, das sind „Junkie XL“. Über die weiß ich nur, daß sie wie „The Prodigy“klingen sollen, bloß gut.

Blohm: Ein bißchen wie „The Prodigy“klingen sie. Ob sie gut klingen, kann man von hier draußen freilich nicht beurteilen. So, wenigstens haben wir jetzt endlich unsere Snacks. Ich schlage vor, wir ziehen uns in die VIP-Lounge zurück. Im allgemein zugänglichen Teil des Saals herrscht der Ausnahmezustand. Die ersten Verletzten werden rausgetragen, die ersten Bekifften vermißt, und die ersten Betrunkenen wollen Ärger.

Voss: Die Menschen hier im VIP-Bereich scheinen sich mehr für das Gratis-Diebels als für die Musik zu interessieren.

Blohm: Wer könnte es ihnen verübeln. Die Rap-Acts können allesamt nicht gegen den dumpfen Sound anrappen. Besonders „5 Sterne deluxe“haben live nichts von der verspielten Leichtigkeit ihrer Studioaufnahmen.

Voss: Dafür überraschen „Fischmob“mit live bedientem Rockinstrumentarium, was ihre Musik und ihren Auftritt sehr lebendig macht. Für mich ein einsames Glanzlicht dieses Abends.

Blohm: Im Gegensatz zu dem jungen nöligen Mann mit der Gitarre, der jetzt auf der Bühne steht.

Voss: Das ist einer von „Tocotronic“.

Blohm: Dann ist es jetzt wohl an der Zeit, zu gehen.