Zank um Avantgarde im Dom

■ Konzert abgesagt: Bremer Musikszene recycelt einen Skandal recycelt

Ist das „unerwünschte Konzert“gut 35 Jahre nach seiner skandalösen Verhinderung im Bremer Dom ein zweites Mal unerwünscht? Diese Frage drängt sich auf. 1962 hatte der Hauptabteilungsleiter Musik bei Radio Bremen, Hans Otte, für sein zweites Festival „Pro Musica Nova“ein Orgelkonzert initiiert: Werke von Bengt Hambraeus, György Ligeti, Mauricio Kagel und Hans Otte selbst sollten uraufgeführt werden. Doch der Bauherr Walter Schünemann zog die Zusage wegen der Teilnahme von TänzerInnen in Ottes Stück kurzfristig zurück – „zum Glück“, kommentierte der Weser Kurier damals. Ein in der Szene der Neuen Musik weltweiter Skandal war die Folge, zumal sich das später in Schweden realisierte Konzert als die Initialzündung vollkommen neuer Orgelmusik erweisen sollte.

Für den 7. Mai 1998 war im Rahmen der Hochschulwochen die Rekonstruktion des damaligen Konzertes geplant: als Wiedergutmachung einer peinlichen Angelegenheit sollte Hans-Ola Ericsson, zur zeit Professor an der Hochschule für Künste (HfK), im Dom spielen. Doch wieder wurde das Konzert seitens des Doms abgesagt. Die Recherchen ergaben: Im November hatte die HfK beim Dom um diesen Termin angefragt. Nach vier Monaten ohne Antwort erfährt Fachbereichssprecher Manfred Cordes auf Anfrage, daß es mit diesem Termin wegen „interner Probleme“nicht klappen werde.

Wolfgang Helbich, als Domkantor wichtigster Ansprechpartner für fremde Konzertveranstalter, hatte den zweitentscheidenden Bauherren wegen des Konzertes geraten: „Lieber nicht.“Er habe schlechte Erfahrungen mit Ericsson gemacht.

Die Bauherren überlasen wohl diesen Rat, meint Helbich, und machten der Hochschule für Künste keine Mitteilung über die empfohlene Absage. Helbich selbst setzte seine Konzert- und Probentermine an, blockierte damit den Termin am 7. Mai. Domherr Klaus Eissing: „Es ist wirklich ein Mißverständnis. Und uns war ja auch die kulturpolitische Tragweite nicht bekannt.“Aber auch der Domorganist Wolfgang Baumgratz, Leiter des Studienganges Kirchenmusik an der Hochschule, konnte sich nicht erfolgreich zum Verteidiger des Konzertes machen.

Das Kompetenzgerangel zwischen Wolfgang Baumgratz und Wolfgang Helbich, der formal sein Chef ist, hat Tradition: Schon die Vorgänger der beiden, Hans Heintze und Käte van Tricht, prozessierten gegeneinander. Für den Fall einer endgültigen Absage droht Ericsson noch eher versteckt persönliche Schritte an: „Dann gibt's ein Riesenproblem“. Harald Vogel, ebenfalls Professor für Orgel an der Musikhochschule: „Wenn sie keine Wiedergutmachung wollen, dann sollen sie das sagen.“

Die Mischung aus Neid, unklaren Zuständigkeiten, persönlichen Ausweichmanövern und Kommunikationsschwächen steht in einem solchen Fall klar im Raum: Schuld war keiner. Dombauherr Eissing hat ein Terminangebot für Anfang Juli gemacht: Diese späte Einsicht ändert an den Vorgängen nur wenig. Ute Schalz-Laurenze