Ein Mythos kann nicht besiegt werden

■ 1:0 gegen SpVgg. Fürth – der Club wird wieder deutscher Meister. Ein Spielbericht

Nürnberg (taz) – Kein Mensch, kein Franke, kein wirklich fachkundiger Fußballanhänger hätte es sich zu Beginn der Saison träumen lassen, daß das 105. Frankenderby nicht nur ein Kampf zweier Kulturen – das war man ja gewohnt –, sondern für den Club ein Kampf um die deutsche Fußballmeisterschaft für die Jahrtausendwende werden würde. Und das, obwohl der CSU-Oberbürgermeister prophezeit hatte, daß es mit dem Roten Nürnberg für Jahrzehnte vorbei sein würde, und traditionsreiche Großunternehmen resigniert die Region verlassen und eine überdurchschnittliche Arbeitslosenquote in Franken produziert haben.

Am Donnerstag abend fielen in das ausverkaufte Städtische Stadion, in das man eigens vom Zabo umgezogen ist, schon die langen Schatten der Reste des tausendjährigen Reichsparteitagsgeländes (Hinweis für Ortsunkundige: natürlich nicht von der Sonne, sondern von den dort installierten Flutlichtanlagen verursacht), als eine Gruppe von fehlgeleiteten Anhängern der Spielvereinigung die Absperrung überwand und versucht, das Erfolgsrezept von Real Madrid zu imitieren. Zum Glück waren die Platzwarte des Clubs vorgewarnt und konnten diese unfaire Aktion wie üblich gewaltlos beenden.

Fast pünktlich konnte der Schiri das Spiel anpfeifen. Doch welch ungeheure Überraschung, ja fast Entsetzen machte sich auf den Rängen breit, als die Mannschaften aufliefen. Die Fans beider Seiten glaubten ihren Augen nicht trauen zu dürfen. Der Club lief mit seinen alten weinroten Trikots und schwarzen Hosen auf – alles noch ohne Werbung – und mit Spielern, die man längst in den Annalen der Vereinsgeschichte wähnte. Viele jüngere Fans konnten mit vielen Gesichtern gar nichts mehr anfangen und begannen bereits „Widmayer raus!“ zu brüllen. Doch das Spielgeschehen ließ keinen Raum für Unwissen, Unverstand oder sonstige Emotionen. Bereits in der 5. Spielminute knallte Strehl einen Hammer gegen die Querlatte, daß ein tausendkehliger Aufschrei durch die von der Lederer Brauerei gesponserten Chöre das Stadion erschütterte. Im Gegenzug mußte der betagte Heiner Stuhlfauth wie ein junges Entlein blitzschnell in die untere Ecke tauchen, um einen hinterhältigen Schuß durch die Beine des ansonsten wieder prächtig aufgelegten Stoppers (Mittelläufers) Wenauer rauszufischen. Im weiteren Spielverlauf spielte sich die Traditionself des Clubs in einen wahren Spielrausch, der vergessen ließ, daß auch noch Spieler der Spielvereinigung auf dem Platz waren. Doch fehlte dem Rauschhaften dann doch dieser bestimmte definitive Wille zum krönenden Abschluß. Es wollte und wollte ein Tor nicht fallen.

Zunehmend wurde es zur Tortur, mit ansehen zu müssen, wie Maxl Morlock immer wieder mit tänzerischer Leichtigkeit den Ball in den Sechzehner trieb und ihm dann doch das letzte Quentchen Kraft fehlte, während Steff Reisch, sichtbar geschwächt durch einen Discoabend, Mühe hatte, alleine die Augen offen zu halten.

In der Pause drehte sich alles um die Frage der Geisterelf des Clubs. Viele Besucher glaubten, gar nicht das wirkliche Spiel, sondern einen Film gesehen zu haben. Die Journalistenpulks vor den Katakomben ließen die Spieler zur 2. Halbzeit zunächst gar nicht auf den Rasen gelangen. Endlich konnte der Ball freigegeben werden, und das Interesse fand wieder sein angemessenes Objekt der Begierde.

Die Fürther erinnerten zunehmend nicht an eine Spiel-, sondern an eine Maurervereinigung. Der Fairneß halber muß jedoch leider erwähnt werden, daß auch Ferschl und Müller keine Waisenknaben waren und ganz schön zu dieser bekannten Sache gingen.

Endlich! In der 73. Minute schlägt der bislang noch kaum aufgefallene Tasso Wild – außerhalb des Spielfelds hat er das bei Hertha BSC auf einträgliche Weise nachgeholt – eine Traumflanke in den 5-Meter-Raum, und wie eine Rakete fliegt plötzlich ein rotschwarzer Körper waagerecht durch die Luft (67 cm über dem Rasen) und versenkt per Kopf den Ball unhaltbar in den Maschen. Die rasenden Zuschauer tobten wie Fidel-Castro- oder Ho-Chi-Minh-Anhänger gegen die Yankees, und in der Siedehitze des Gefechts auf und um das Sportfeld herum schien der sportliche Anstand restlos knockout zu gehen. Das Spiel war gelaufen.

Zum Erstaunen aller zogen die Fürther Fans unter Absingen der Hymne aller Erfolglosen, „Geschlagen ziehen wir nach Haus, die Enkel fechten's besser aus“, ruhig und diszipliniert in ihre graue Nürnberger Vorstadt zurück, während die Clubanhänger den Christkindlmarkt vorzeitig eröffneten.

P.S.: Der Torschütze hieß Kurt Haseneder. Manfred Scharrer

Der Autor war vormals aktiver Linksaußen