Das Herz des Fußballs rutscht in die Hose

Der Revierzauber ist vergangen. Nun verliert der Westen nicht nur Rau, sondern seine traditionelle Liga-Mehrheit an den Süden. Doch während ausgerechnet der Altmeister der politischen Aufholjagd die Welt nicht mehr versteht, ist Kandidat Schröder für jeden Bundesliga-Meister gerüstet  ■ Von Norbert Seitz

„Die sind mir zu siegesgewiß“, lamentierte Kanzler Kohl im Focus über seinen Lauterer Herzensverein als Tabellenführer. Mit diesem Befund traf aber der frühere Stopper von Phönix Ludwigshafen nur die Eckfahne. Denn am „Bezze“ prahlt keiner wie Bodo Hombach oder Uli Hoeneß.

Der Kanzler versteht auch die Fußballwelt nicht mehr, seit seine Roten Teufel sich in Schröders Pole-Position befinden. Der Altmeister der politischen Aufholjagd sähe seine Pfälzer Pappenheimer wohl lieber in der Lauerstellung der Bayern. Egal wer auch Meister werden mag, Kandidat Schröder ist für jeden Siegesfall gerüstet. Entweder teilt er die Freude seines Spezis Edmund Stoiber beim Triumph über Kohls Lieblinge. Oder er zieht zum Erfolg der Lauterer Underdogs eine Preussag-Rede aus der Tasche.

Derweil scheint Borussia Dortmund die eigene Modernisierung sowenig zu verkraften wie die Genossen an Rau, Rhein und Ruhr Clements neuen Kurs. Schon im letzten Jahr war zu ahnen, daß die europäische Renaissance des Kohlenpotts nur von kurzer Dauer sein würde. Die Ära Rau ist beendet. Im Juni 1958 zog Bruder Johannes erstmals in den Düsseldorfer Landtag ein, als Juskowiak vom Platz gestellt wurde. Und als sich der Landespatriarch verabschiedete, zeigte Ronaldo Schalke den Biberzahn.

An den rauhbauzigen Fußballcharme der Menschen zwischen Ruhr und Emscher erinnern freilich noch einige Trainergrößen: Otto Rehhagel, von Beate geküßt, Kalli Feldkamp, von Poschmann gehätschelt, und Friedel Rausch, vom Hund gebissen.

Unterdessen versuchen alle politischen Lager, die Sensationserfolge der Kaiserslauterner symbolisch für sich auszuschlachten. Ein Gewerkschafter sinnierte sogar darüber, Otto sei in Wahrheit Oskar, der hervorragend die eigenen Leute zu motivieren verstehe und ein distanziertes Verhältnis zu den Medien pflege. Doch weit gefehlt, denn der Coach vom Betzenberg wirkt eher wie ein erratischer Block im Bundesligageschäft und ähnelt darin gewiß dem Koloß der Indolenz im Kanzleramt.

Während der Revierzauber verging, schmilzt jetzt auch die traditionelle Ligamehrheit des Westens dahin. In den 50er Jahren galt noch der klassische Gegensatz zwischen dem Kampfspiel im Westen und den Schönspielern aus dem Süden, die eher die aufkommende Angestelltenkultur zu präsentieren schienen.

Doch gleich in den Gründerjahren der Bundesliga sprengten die Meister aus Bremen und Braunschweig als norddeutsche Außenseiter den klassischen West-Süd- Dualismus. Eine komplette Westliga spielte schon in Deutschlands oberster Klasse. Doch die NRW- Herrlichkeit in der Bundesliga bewegte sich nur zwischen Müngersdorf und Mönchengladbach und war von Weisweilers Gnaden.

Nur einmal und für eine Spielzeit schaffte der Süden die Ligamajorität – vor genau zehn Jahren zu „Spätzle“ Späths Hochzeiten, als gleich vier Klubs aus dem Ländle – der VfB und die Kickers, Karlsruhe und Waldhof-Mannheim – oben mitkickten. Doch das Cleverle boomte nur eine Spielzeit: Der VfB unterlag Neapel im Uefa- Pokal-Finale. Man hatte zwar „Diego“ Buchwald, doch bei Napoli spielte das Original. Und Späth wurde in Bremen des Feldes verwiesen: nicht im Weserstadion, sondern auf dem legendären CDU-Parteitag, als Geißler stürzte.

Scheitern nunmehr Bielefeld und Gladbach, steht mit dem Aufstieg von Freiburg, Frankfurt und Nürnberg der süddeutsche Totaltriumph ins oberste Fußballhaus. Wer sich davon jedoch einen spielerischen Zugewinn verspricht, hat wohl noch nie montags bei DSF reingeschaut. Sowohl in Nürnberg unter Magaths Fuchtel wie auch im einstigen „brasilianischen Breisgau“ wird längst konventioneller Zweckfußball bevorzugt. Und an Eintracht Frankfurts Renaissance bleibt sowenig haften wie die Tatsache, daß Trainer Ehrmanntraut im legendären Uefa-Cup-Team von 1980 an der Seite von Pezzey, Hölzenbein und Cha rechter Verteidiger gewesen sein soll.

Doch das regionale Prestige gerät längst in den Hintergrund der Emotionen, seit auch die Bundesliga unter der Globalisierung keucht. Die Ruhrgebietsmythisierung schien nach Bertis Notgemeinschaftserfolg bei Euro 96 im Wembley einer letzten deutschnationalen Kickerbeschwörung gleichzukommen.

Im Schalker Parkstadion wohnen stets zwei Seelen in Bertis Brust, das teutonische Kämpferherz, aber auch das Ressentiment gegenüber jener Benelux-Mixtur, die schon vom alten Adenauer vor Unterschrift der Römischen Verträge als „Jemüse“ bezeichnet worden war. Berti Vogts kämpft unverdrossen gegen die Komljenovićierung der höchsten deutschen Spielklasse. Gleichsam computertomographisch überprüft er den Ausländeranteil pro Spielminute. Danach brechen samstags ab der 65. Minute alle deutschen Dämme auf dem Rasen.

Nicht nur der Bundeskanzler, auch der Bundestrainer versteht die Welt nicht mehr, seit der Große Lauschangriff zwar eingeführt, aber gleichzeitig das Hineingrätschen von hinten als rotwürdig stigmatisiert wurde. Die späte Kriminalisierung seiner frühen Spielweise mußte den einstigen Weisweiler-Eleven verbittern.

Man kann kaum seine Schadenfreude darüber verbergen, daß ausgerechnet die Konservativsten des Fußballgeschäfts mit der Globalisierung am wenigsten klarzukommen scheinen. Der VfB Stuttgart verfügt über die besten Ausländer, aber leider nicht über ein bedeutendes Team, wie es dem Vereinschef vorschwebt, der einst als erster vor der slawischen Unterwanderung der Liga warnte.

Bayern München, neben der DM das Symbol bundesdeutscher Stärke, tut sich mit seinen internationalen Hochkarätern so schwer wie Landesvater Stoiber mit der Einführung des Euro. In Deutschlands erstem Nobelklub endete noch jeder auswärtige Star als Saisonniete – ob Herzog oder Rizzitelli, Sforza, Sutter, Lizarazu oder nun auch Elber. Dagegen steht der intelligenteste unter den Coaches, Ewald Lienen von Hans Rostock, dessen zunächst vielbelächelte Nobodies Barbarez, Majak oder Pamić sich allesamt als Volltreffer erweisen sollten.

Was aber bleibt von allen multikulturellen Utopien der 68er? Zumindest die Hoffnung, daß Bachirou Salou im diesjährigen Berliner Cup- und Trap-Finale gegen die Bayern in der Verlängerung entscheidend trifft.

Der Autor trat 68 als Obersekundaner den Mainzer Jungdemokraten in der FDP bei