Der ganz besondere Trip

Mit Tonke Dragt einmal durch das Universum und zurück. Eine 68erin, die sich in keinster Weise verstecken muß. Es lohnt sich, diese Autorin für sich zu entdecken.  ■ Von Gabi Trinkaus

Als Tonke Dragt zur Venus flog, war noch niemand vorher da gewesen. Darum sieht ihre Venus anders aus als die der NASA. Sie wagte frühzeitig den weiten Blick in die Zukunft. Und weil sie eine Frau ist, haben auch Mädchen eine Zukunft in Science-fiction.

Tonke Dragt wurde vor 68 Jahren in Batavia geboren. Eine 68erin der besonderen Art. Ihre Spezialität sind Zukunfts-, Phantasie- und Abenteuerromane. Als sie damit anfing, war das Wort Science-fiction noch nicht akut. Vielleicht wollte sie auch nicht zusammengepackt werden mit dieser technisch dominierten Sparte. Denn für ihre Zukunftsvisionen benötigt sie nicht unbedingt Laser oder irgendwelchen Maschinenschnickschnack. Sie sind eher ein Angriff auf die eingefahrenen Denkstrukturen der LeserInnen.

Sie scheut sich nicht, das Handwerk des Schreibens experimentell zu nutzen. Wie eine Zauberin greift sie in die Sprachtrickkiste, und schon stehen wir in einer anderen Zeit oder anderen Welt. Auf Schritt und Tritt lauern unbekannte Gefahren, entdecken wir Geheimnisvolles, ziehen uns Gedichte in ihren Bann. Alles hat ein Geheimnis, und jedes Gedicht ist eine Beschwörung.

Ein Uhrmacher konstruiert eine Zeitmaschine. Ein Student benutzt sie, um die Prüfungsfragen von morgen schon heute zu wissen. Doch leider ein Denkfehler. Die Prüfung von morgen wird zur Prüfung von heute und ergibt einen durchgefallenen Kandidaten von gestern. Kann er nun die Prüfung noch einmal machen, oder hat die verdoppelte Zeit keinen doppelten Boden? Läuft die Zeit nur in eine Richtung, oder ist sie umkehrbar? Auf jeden Fall verfliegt sie beim Lesen. Die Seiten werden schwarz. Die Buchstaben weiß. Spurlos geht es nicht ab, wenn aus Büchern Zeitmaschinen werden.

Türme des Februar

Auch „Die Türme des Februar“ beginnen mit einer Reise. Ein Junge steht am Strand und muß feststellen, daß er nicht weiß, wer er ist, wo er ist und wie er hierhergekommen ist. Ein alter Mann hat ihn aufgenommen und rät ihm, Tagebuch zu schreiben, um die Erinnerung einzufangen. Es ist der 30. Februar, und er fürchtet, verrückt zu werden. Bei einem Spaziergang durch die Dünen rekapituliert er die Wörter, die er noch kennt. Im Sand stehen zwei hohe Türme, bedrohlich fremd und doch bekannt. Er ist sicher, daß sie etwas mit ihm zu tun haben. Doch was, bleibt ihm verborgen. Er spürt, daß manche Menschen ihm feindlich gesonnen sind. Sein verwirrter Zustand verrät ihn.

Ein Mädchen namens Theja und ihr gleichnamiger Hund versuchen ihm zu helfen. Sie wollen, daß er alles Vergangene vergißt. Sie wissen um den unlösbaren Konflikt, der ihm droht, wenn er sich erinnert. Spring übers Feuer, und du wirst ein Neuer. Doch er springt nicht. Namen sind Schall und Rauch. Doch er will seinen Namen wissen.

Kaputte Roboter fördern die Bildung

Bei dem schmalen Bändchen „Der Roboter vom Flohmarkt“ wurde ich das Gefühl nicht los, spätestens meine Urenkel würden so leben. Sie werden zur Schule gehen und dafür belohnt werden, daß sie den Computer richtig eingestellt haben. Denn alle lästigen Arbeiten erledigt der Computer. Und dazu gehört natürlich lesen lernen, schreiben, rechnen. Das ist genau das, wovon Kinder träumen. Zu Hause erledigen Roboter nicht nur Schulaufgaben, sondern auch die Hausarbeit. Immerhin ein Trost für Jetztzeiteltern. Dafür braucht man mehrere Roboter.

Edus Roboter ist kaputt, deshalb muß er dauernd nachsitzen, weil er seine Schulaufgaben nicht hat machen lassen. Schließlich greift er zur Selbsthilfe. Er steigt aufs Rollband Richtung Flohmarkt. Vielleicht gibt es zwischen alten Raumfahrtschrott auch einen Roboter. Und richtig, ein zerbeultes, rostiges Uraltmodell namens Bob wird sein Eigentum. Ein antikes Modell. Leider kann es nicht lesen und multiplizieren, dafür Gedichte und Sprichwörter. Aber sein Kopf ist groß. Man kann noch einige Programme hineinstopfen. Doch wie soll Edu Zahlenreihen eingeben, wenn er sie nicht kennt? Für Edu beginnt eine harte Zeit. Sein Roboter soll so gut sein wie die neuen Blechheinis. Dafür lernt er die Zahlenreihen, die Buchstaben, bis Bob alles kann und Edu auch, aber das merkt er erst später.

So was bringt die kleinen Computerfreaks von heute natürlich zum Lachen. Aber ich lache zuletzt, denke an all die verschwundenen Dateien mit den falsch geschriebenen Kennworten.

Geliebte Venuswälder

Nach diesem Einstieg in die Welt Edus lernen wir in dem Buch „Turmhoch und meilenweit“ den erwachsenen Edu kennen. Er ist Planetenforscher geworden. Zur Zeit befindet er sich auf der Venus. Schon einmal war er hier. Die Wälder der Venus lassen ihn nicht los. Schon sein alter Roboter schien sie besungen zu haben „Wo Wälder sind so heiß wie Feuer, turmhoch und meilenweit“. Auf der Erde waren Wälder und ihre Tiere schon lange ausgestorben. Auch auf der Venus sind die Wälder verboten. Es hat Unglücksfälle gegeben. Forscher kehrten nicht oder verrückt zu ihrer gläsernen Raumstation zurück. Jetzt sitzen die Menschen in ihrer gläsernen Kuppel. Nur Roboter dürfen noch nach draußen. Am Horizont lodern die Wälder wie Flammen, orange, leuchtend rosé und gold und darüber wie Rauch die Regenwolken. Wandernde Berge, Meere, Moore, üppig wuchernde Pflanzen. Eine pulsierende Vegetation ruft Edu, und er kann nicht widerstehen.

Das Leben auf der Station ist perfekt durchgeplant. So durchsichtig wie die Glaskuppel sind auch die Menschen für den Kommandanten. Alles wird registriert. Eine Psychologin entlockt mit ständigen Tests die letzten Geheimnisse, sorgt für die letzte Durchsichtigkeit. Schließlich gibt er das Versteckspiel auf und provoziert bei einem Übungsflug einen Absturz über dem Wald. Inmitten exotisch blühender Pflanzen, dampfender Atmosphäre wird ihm der Raumanzug fast zum Verhängnis.

Tigeraugen fressen dich nicht

Die Rückkehr auf die Erde ist doch eher deprimierend. Kalt, durchgestylt, risikofeindlich leben die Menschen mit ihren Robotern in durchorganisierten Verhältnissen. Wohntürme, Rollsteige, Minimobile, wohin das Auge sieht. Die Restbestände der Wälder sind in Reservaten versteckt, wilde Tiere ausgestorben. In dieser Welt lebt Jock Martin, vor langer Zeit Venusforscher, heute Maler. Er leitet eine Malgruppe im Kreativzentrum. Zwischenstation für unangepaßte Jugendliche. Jocks Leben fließt wie ein ruhiger Fluß. In seiner Arbeit hat er alle Freiheiten. Man gängelt ihn nicht. Die Jugendlichen scheinen ihn zu akzeptieren.

Die Rückkehr der Venusforscher wird erwartet. Und weil Jock schon einmal dort war, sollen seine Bilder auf einer Austellung gezeigt werden. So greift die Politik nach ihm. Und bald wird auch das Ziel klar. Die Venus soll besiedelt werden. Daß sie schon bewohnt ist, soll unterschlagen werden. Das Geheimnis kennen zunächst nur die Venusforscher. Doch alle, die durch Telepathie erreichbar sind, verstehen bald, welche alten Kolonialsünden nun wiederholt werden sollen. Die Fähigkeit, Gedanken lesen zu können, stürzt alle Beteiligten in turbulente Abenteuer.

Tonke Dragt: „Das Geheimnis des Uhrmachers“. Ab 12, Fischer Schatzinsel, 9,90 DM

„Die Türme des Februar“. Ab 12, Beltz/Gelberg, 12,80 DM

„Der Roboter vom Flohmarkt“. Ab 10, Freies Geistesleben,

12,80 DM

„Turmhoch und meilenweit“. Ab 12, Freies Geistesleben, 36 DM

„Tigeraugen“. Ab 14, Freies Geistesleben, 39,80 DM