Kunst am Bau im Crashtest

Mit einem gewaltigen „Kunst am Bau“-Programm für die Regierungs- und Parlamentsbauten hat sich der Bund auf politisch umstrittene und künstlerisch schwierigste Positionen eingelassen. Die Kunstbeiräte haben eine Vorliebe für Kunst als Provokation  ■ Von Rolf Lautenschläger

Es hat gekracht, bevor das erste Kunstwerk überhaupt gemalt worden ist. Als der Kunstbeirat des Deutschen Bundestages den Leipziger Maler Bernhard Heisig kürzlich als einen von mehreren Künstlern auserwählte, den Reichstag mit geschichtsträchtigen Werken zu füllen, drehten einige DDR-Dissidenten durch: Der Bundestag vertrage keine kommunistischen Altlasten à la Heisig, wetterten Freya Klier, Jürgen Fuchs, Katja Lange-Müller oder Christoph Tannert unisono. Der DDR-Nationalpreisträger Heisig, in dessen Biographie das Detail auftauchte, in jungen Jahren der Waffen-SS anzugehören, setze die Würde des hohen Hauses aufs Spiel. Die Freiheit der Kunst und die Demokratie seien gefährdet.

Weil der Streit um Kunst sich als Vehikel politisch-ideologischer Abrechnung eignet, schlug sich der konservative CDU-Abgeordnete Uwe Lehmann-Brauns auf die Seite der Boykotteure. Statt über Heisigs expressive Bilder zu reflektieren, nahm Lehmann-Brauns gleich die gesamte ostdeutsche Kunstlandschaft ins Visier. Sozialistische Realisten wie Heisig hätten „jahrelang die Kunstpolitik der DDR vertreten und stabilisiert“. Unangepaßte Meister wie Penck oder Altenbourg seien dagegen in ihrer künstlerischen Entwicklung behindert oder ausgegrenzt worden. „Weder Breker noch Heisig“, polterte der kulturpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, gehörten mit ihren Kunstwerken in den neuen Reichstag, „weil das Gebäude den Kernbereich der in Deutschland oft verlorenen Demokratie repräsentiert“.

Daß der Kunstbeirat des Bundestages – zu dem Rita Süssmuth (CDU), Peter Conradi (SPD) oder Renate Blank (CDU) sowie als Beiräte unter anderen Götz Adriani (Kunsthalle Tübingen) oder Dieter Honisch (Berlin) zählen – an der umstrittenen Nominierung Heisigs und dessen ästhetischer „Auseinandersetzung mit den Themen deutscher Geschichte“ festhalten will, hat die Wogen zwar etwas geglättet. Doch Ärger mit dem vielschichtigen Kunstgeschmack und der Gesinnung von Abgeordneten sowie anderen Experten könnte den Kunstbeiräten erneut blühen. Ohne Zweifel hat sich der Bund bei dem gewaltigen „Kunst am Bau“-Programm für die Regierungs- und Parlamentsbauten in Berlin nicht nur auf politisch umstrittene, sondern insbesondere auf schwierigste künstlerische Positionen eingelassen. Auf die Parlamentsbauten Reichstag, Dorotheen- und Alsenblöcke werden neben den sowieso „nicht leichten“ Heisig, Baselitz, Richter oder Ücker auch der Russe Ilya Kabakow, Christian Boltanski, der amerikanische Maler und Bildhauer Ellsworth Kelly, der Neonlicht-Italiener Maurizio Nannucci, die Minimalisten Remy Zaugg oder Tony Cragg und Liz Bachhuber losgelassen. Bauten als Projektionsflächen für zeitgenössische Kunst reichen denen nicht aus. Vielmehr könnten diese zum Crashtest mit der Kunst am Bau gegenüber der Architektur samt ihrer Nutzer ansetzen.

Für die Ministerien hat sich der zweite Kunstbeirat – „Kunstbeirat der Bundesregierung“ genannt – in seinem Konzept ebenfalls auf 84 moderne Künstler geeinigt, von denen mit Sicherheit die Hälfte schiere Provokationen für biedere Bundesbeamte und die Öffentlichkeit darstellen. Während arrivierte Avantgardisten wie Claes Oldenbourg und Daniel Buren, Rebecca Horn, Gerhard Merz oder Hans Haacke, Katharina Frisch und Magdalena Jetelowa, Nilele Toroni, Jenny Holzer und LeWitt schon zu merkwürdigem Rezeptionsverhalten führen könnte, darf man gespannt sein, wie die Nutzer der Gebäude auf Bilder, Skulpturen oder Installationen jüngerer Künstler und Politprovokateure wie Ulrich Horndasch, Stephan Balkenhol, Via Lewandowaki oder Renata Stih/Frieder Schnock reagieren.

Kunst als Provokation oder als möglicher „Documenta-Effekt“ scheinen die beiden Kunstbeiräte aus Museumsdirektoren, Künstlern und Politikern keineswegs zu scheuen. Im Gegenteil. Für Klaus Bußmann, Sprecher des Kunstbeirats für die Ministerien und Direktor des Westfälischen Landesmuseum für Kunst in Münster, sollen die Künstler im Rahmen der vorgegebenen Orte und Bauten „freie Hand bei der Entwicklung“ haben. Um dem Schmähbegriff, der der Kunst am Bau anhaftet, quasi ästhetische Top-Ereignisse entgegenzustellen, haben sich die Kunstbeiräte des Bundestages etwa für die Gestaltung des Reichstags gleich auf Künstler festgelegt, die in ihrer Kunst mehr als nur Ausschmückung, Kulisse oder Bestärkung des baulichen Rahmens sehen: Sigmar Polke und Gerhard Richter sollen den Westeingang gestalten. Georg Baselitz erschafft für die Süd- und Jenny Holzer für Nord-Halle.

Außerdem sollen der umstrittene Heisig, Christian Boltanski, Ilya Kabakow, Carlfriedrich Claus und „Verpackungskünstler“ Christo gewonnen werden. Beauftragt wurden außerdem Dani Karavan für den Hof der Dorotheenblöcke und Astrid Klein mit einer Neoninstallation der Treppenanlage. Für den benachbarten Alsenblock wurden Günther Förg, Gunda Förster, Micha Kuball, François Morellet, Remy Zaugg und andere mit Arbeiten beauftragt. Weitere Künstler sollen per Wettbewerb und Kolloquien ausgesucht werden. Insgesamt 40 Künstler will der Bund dort beauftragen, das „Wagnis Architektur und Kunst“ zu riskieren.

Kaum anders verhält sich das Kunstkonzept für die Ministerien, an dem sich 84 Künstler, davon 15 aus der einstigen DDR, beteiligen. Am Kunstbeirat vorbei hat es schon Gerhard Merz geschafft, der für den Architekten Hans Kollhoff das Auswärtige Amt (früher ZK- Gebäude) mit einer monumentalen Farb-Licht-Installation ausstattet. Bestimmt hat der Beirat auch Hans Haacke und Sigmar Polke für die Ausgestaltung des Altbaus. Wettbewerbe unter Künstlern sollen dagegen für die Außenbereiche veranstaltet werden.

Gleichfalls entschieden ist die Mitarbeit von Daniel Buren für das Arbeitsministerium, von Reinhard Mucha am Verteidigungsministerium im Bendlerblock oder von Claes Oldenbourg mit einer Großplastik am Bundespresseamt. Die Projekte für den Standort des Finanzministeriums (Rohwedder- Haus, Treuhandgebäude), das Wirtschaftsamt und Bundesamt für Verkehr an der Invalidenstraße sowie die Ministerialbauten für Justiz sollen bis Ende des Jahres geklärt werden.

Wer sich an Kunstkonzepte an Regierungsbauten, die wenig „funktionierten“, erinnert – etwa die Bauplastik von Bernhard Heiliger im Reichstag oder die Monumentalschinken im Palast der Republik –, versteht die Ansprüche des Kunstbeirats, die Künstler sollten sich auf die „Geschichte und Funktion der Bauten und die spezielle Situation des Ortes einlassen“. Der „kritische Dialog“ gerade mit den Bauten des Nationalsozialismus erscheine „unerläßlich“, plakatives Konterkarieren sei dagegen keine ästhetische Antwort. Den kritischen Dialog mit der Öffentlichkeit, speziell beim Ost-West-Konflikt in Sachen Heisig, haben die Kunstbeiräte selbst bislang verweigert. Wurde dort intern entschieden, Heisig als Maler im Reichstag auszustellen, so kommt die übrige Auswahl fast einem Verwaltungsakt von Kunstexperten gleich.

Das Auswahlverfahren gleiche auf den ersten Blick weniger einem ideologischen Schaukampf, meint etwa der Kunstkritiker Carl Friedrich Schröer, sondern „vielmehr einem ordentlichen Verwaltungsakt, gemäß der Richtlinie K7 ,Beteiligung bildender Künstler‘“. Daß dies der „Kunst zugute“ komme, da das fachkundige Gremium mit besonderem Bedacht ausgewählt worden sei und Proporzdenken weniger eine Rolle spiele, konstatiert Schröer mit Genugtuung.

Weit weniger zufrieden mit dem Closed-Beirat-Shop zeigt sich der Kunsthistoriker Christoph Tannert. Es komme gerade nicht der Kunst zugute, so Tannert, wenn ein Gremium ohne konkrete Vorgaben „lediglich nach dem Prinzip L'art pour l'art“ ästhetische Positionen beziehe. Da fehlten ganz „eindeutig die Vorgaben und die Diskussion“. Statt der „Debatte im kleinen Kreis“ wäre deren Veröffentlichung angebracht – gerade um künstlerische und politische Haltungen, wie im Fall Heisig, im Kontext der Gestaltung von Bundesbauten zu klären und die Kunst nicht als Dekoration der Bauten erleben zu müssen. So heißt es „Schwamm drüber, und schauen wir uns die schönen Bilder an“, sagt Tannert. Damit ist der nächste Krach vorprogrammiert.