Unterm Strich

Die Zeit hat sich in ihrer letzten Ausgabe dem Böll- Bashing zugewandt. Auf zwei Seiten durfte Christian Linder seine „Enthüllungen“ über den guten Menschen von Köln ausbreiten. Enthüllt wurde dies: So gut war er gar nicht, der Böll. Denn nicht nur kann man die Geschichte von „Heinrich Böll und dem Terrorismus“ kurz und knapp als „die Geschichte eines Mythos“ bezeichnen, nein, sein ganzes Leben war der Nobelpreisträger darum bemüht, seine „Biographie auf Hochglanz“ zu bringen. Wie wird das belegt? Mit zwei (!) Anekdoten: Die eine ist seit zwölf Jahren bekannt und wurde von Hans Werner Richter in seinem Erinnerungsbuch „Im Etablissement der Schmetterlinge“ erzählt: Bei einer Fernsehdiskussion zum 20.Juli 1944 sollten Schriftsteller berichten, was sie an jenem Tag erlebt hatten. Böll hatte Richter im Vorfeld erzählt, wie er in einem rumänischen Lazarett illegal Wehrmachtshosen an rumänische Zivilisten verkaufte. Vor laufenden Kameras sagte Böll dann etwas anderes. Nach dem Fernsehauftritt von Richter zur Rede gestellt, soll Böll gesagt haben: „Ich werde mir doch nicht meine Biographie verderben.“

Die zweite Geschichte spielt im Juni 1972, zu Hochzeiten der RAF-Paranoia. Heinrich Böll war in Folge seines Spiegel-Artikels über Ulrike Meinhof als erster Terroristen-Sympathisant im Staate präsent. Morddrohungen kamen ins Haus. Schließlich kam sogar die Polizei: Ein Taxifahrer hatte berichtet, er habe zwei Personen zu Böll gefahren, die sich unterwegs über Baader, Meinhof und Ensslin unterhalten hätten. Grund genug für den Chef der Dürener Kriminalpolizei, Helmut Conrads, bei Böll mal nachzuschauen, wen der so empfängt. Böll stellte seine Gäste auch bereitwillig vor, wie Conrads sich heute noch, nach 26 Jahren, „genau erinnert“. Die Gäste erwiesen sich als unverdächtig. Die Beamten bedanken sich (in Conrads Erinnerungen) geradezu überschwenglich für Bölls Hilfsbereitschaft und entschuldigen sich. Böll war jedoch anscheinend so aufgeregt, daß er sich in einem Brief an seinen Freund Hans-Dietrich Genscher über das Vorgehen der Polizei beschwerte und angstvoll hinzudichtete, sein Haus sei von schwerbewaffneten Beamten umstellt gewesen. Der Brief kam an die Öffentlichkeit, und Herr Conrads erkundigte sich bei Böll: „Herr Böll, was haben Sie denn da geschrieben?“ „Ach ja, Herr Conrads“, antwortet dieser, „das ist mir vor Ärger so in die Maschine geflossen.“ Und er kündigt gleich an, daß er sich in einem zwei Tage darauf folgenden Fernsehinterview öffentlich entschuldigen werde. Was dann auch geschieht. Hat das nicht Größe? Die von Linder erhobenen Vorwürfe sind nicht nur absurd, sie basieren auch noch auf seit langem bekannten Anekdoten. Wieso kann man „den guten Menschen von Köln“ nicht einfach einen guten Menschen sein lassen? Wen stört das? Wer hält das nicht aus? Rätselhaft. vw