■ Kriminalitätsbekämpfung: Kanther will eine zentrale Gendatei
: Wer dagegen ist, macht sich verdächtig

Kurz vor Ostern startete die Polizei in Niedersachsen die größte gentechnische Fahndung der deutschen Kriminalgeschichte. 18.000 Männer wurden zum „freiwilligen Gentest“ aufgerufen. Seit die Möglichkeit des „Genetischen Fingerabdrucks“ besteht, drängen Kriminalisten auch in Deutschland auf dessen Einsatz. Verwiesen wird dabei vor allem auf Erfolge in Großbritannien und den USA.

Auf den ersten Blick hat der Gedanke, einen Täter aufgrund seines Genmaterials zu überführen, in der Tat etwas Bestechendes. Die weitere Fahndung mit einer Unzahl von Verdächtigen könnte wegfallen, indem man sie aussortiert. Eine neue Art der Rasterfahndung. „Wer nicht kommt, macht sich verdächtig“, so ein Polizeisprecher. 12.000 sind gekommen. Hätten sie im ländlichen Bereich um Strücklingen, ohne soziale Folgen befürchten zu müssen, eine andere Chance gehabt? Soviel zur Freiwilligkeit.

Bundesinnenminister Kanther denkt weiter. Er will eine Gendatei beim Bundeskriminalamt, in der alle Überführten gespeichert werden sollen – freihändig geregelt als Verordnung. Justizminister Schmidt- Jortzig will ein Gesetz – das ist zumindest die sauberere Lösung. Nur ändert auch sie nichts am eigentlichen Problem, denn das tritt an anderer Stelle zutage, wie Prozesse in der Vergangenheit bereits gezeigt haben. Wird bei der Laboranalyse nicht in allen Stufen sauber und exakt gearbeitet, ist eine Verfälschung des Genmaterials, seine fehlerhafte Auswertung oder gar die Verwechslung von Ausgangsproben kein geringes Risiko.

Als weitere Folge, auch dies wurde in Niedersachsen klar, wird die Rechtsstellung des einzelnen weiter ausgehöhlt. Die genetische Massenfahndung von Strücklingen ist auch ein (weiterer) Schritt hin zur Beweislastumkehr. Wer unschuldig ist, soll das erstmal beweisen müssen. Mit jedem Erfolg wird sich die Begehrlichkeit der Polizei steigern. Weitere Anwendungsmöglichkeiten der DNA-Analyse, über den Bereich der Sexualstraftäter hinaus, sind denkbar und werden bereits diskutiert.

Die bundesdeutsche Rechtssprechung läßt Genbeweise bisher nur als ein Beweismittel neben anderen zu. „Noch“, wird man wohl sagen müssen. Gibt es erst einmal das Gesetz, so wird sich, davon ist auszugehen, auch die Spruchpraxis ändern. Mit womöglich fatalen Folgen für die Betroffenen. Otto Diedrichs

Freier Journalist und Experte für „Innere Sicherheit“