In Palästina droht der Bruderkrieg

Die Ermordung des Hamas-Bombenbauers Scharif hat den Konflikt der Islamisten mit der Autonomieregierung verschärft. Arafat versucht zu schlichten  ■ Aus Jerusalem Georg Baltissen

Der Mord an dem Hamas-Bombenbauer, Muhidin Scharif, ist zu einer schweren Belastung zwischen der palästinensischen Autonomiebehörde und der islamistischen Organisation geworden. Es droht ein innerpalästinensischer Bruderkrieg. Nach eigenen Angaben hat der palästinensische Geheimdienst inzwischen rund 100 Hamas-Mitglieder, darunter den Mörder von Scharif, festgenommen. Hamas spricht dagegen von 300 Verhafteten, unter ihnen zahlreiche politische Führer der Organisation wie Hamas-Sprecher Abdal-Asis Rantisi und der Dekan der Islamischen Universität in Gaza, Nisar Raijan.

Nach wie vor umstritten sind die Untersuchungsergebnisse der palästinensischen Behörden. Während die Autonomiebehörde einen Machtkampf innerhalb von Hamas für den Tod Scharifs verantwortlich macht, beschuldigt Hamas den palästinensischen Geheimdienst, den Mord begangen zu haben, und das auf israelischen Befehl. Scharif war am 29. März erschossen und anschließend mit einer Autobombe in Ramallah in die Luft gesprengt worden. Am Samstag morgen nahm die palästinensische Polizei Imad Awadallah als mutmaßlichen Mörder fest.

Er ist der Bruder eines der meistgesuchten Hamas-Aktivisten, Adel Awadallah. Der gilt als Führer des bewaffneten Arms von Hamas, der Brigaden Is ad-Din al- Kassam, im Westjordanland. In seinem Auftrag soll der Mord ausgeführt worden sein. Nach Angaben der palästinensischen Ermittler hat Imad den Mord gestanden. Unterdessen veröffentlichte die Jerusalem Post am Montag einen Kassiber von Ghassan Adassi. Der Studentenführer von Hamas wird der Komplizenschaft bei dem Mord an Scharif beschuldigt. In dem Kassiber teilt Adassi jedoch mit, er sei vom palästinensischen Geheimdienst gefoltert und gezwungen worden, seine Komplizenschaft einzugestehen. „Ich weiß, daß dieser Brief meinen Tod bedeuten kann“, schreibt er nach Angaben der Jerusalem Post. Und weiter: „Gegenüber der ganzen Welt erkläre ich, daß ich mit dem Mord an Scharif nichts zu tun habe und nichts darüber weiß. Ich habe mein Geständnis unter Folter abgelegt und nach Drohungen, wie ich sie noch niemals in meinem Leben erfahren habe.“

Der palästinensische Geheimdienstchef im Westjordanland, Dschibril Radschub, reagierte lakonisch auf die Veröffentlichung: „Wenn er noch in der Lage war, diesen Brief zu schreiben, dann kann ich nicht glauben, daß er gefoltert worden ist“, sagte Radschub. Der Jerusalemer Abgeordnete des palästinensischen Parlaments, Hatim Abdul-Kader, der Adassi im Gefängnis besuchen konnte, erklärte, er habe an dem Häftling keine Folterspuren entdeckt. „Ich habe ihn gefragt, ob es ihm gutgeht. Wenn er etwas vor mir verborgen hat, ist das seine Schuld und nicht meine“, sagte Kader. Palästinensische Menschenrechtsorganisationen haben die Behörden inzwischen um einen Besuch bei Adassi und Awadallah gebeten, um festzustellen, ob ihre Geständnisse echt sind.

Tajib Abdel-Rahim erklärte, daß die palästinensische Autonomiebehörde führende Hamas-Mitglieder über die Ergebnisse ihrer Untersuchung auf dem laufenden halte und beständig die Zusammenarbeit von Hamas einklage. Hamas-Sprecher Mahmud Sahar sagte, daß seine Organisation keine Konfrontation mit der palästinensischen Behörde suche und ihre Hilfe anbiete, um die Umstände des Mordes an Scharif zu klären. Wie ernst die Lage ist, zeigte der Besuch von Jassir Arafat am Montag in Ramallah. Er ließ sich persönlich von Geheimdienstchef Radschub über die Ermittlungen unterrichten. Arafat will auf alle Fälle einen neuerlichen Selbstmordanschlag von Hamas vermeiden. Dies würde Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die passende Ausrede liefern, jeden weiteren Rückzug aus dem Westjordanland aufzukündigen.