Ratloser Restaurator

■ Was ist hier noch authentisch? Norbert Niemann liest heute im Literaturhaus

Peter Schönlein, Restaurator, betrügt Christa Hintereder-Schönlein, seine Frau. Die gutsituierte Kleinfamilie lebt auf einem Bauernhof, Öd in V., Niederbayern. Karl Kreiner, Maler und Alkoholiker, ist verschwunden. Lisa Arnold, seine schlampige Lebensgefährtin, ist Schönleins Geliebte, obwohl es ihn vor ihr ekelt. Mattias Boker, Denker und Bücherleser, verliebt sich in Christa, lebt aber, nach deren Bruch mit Schönlein, mit Lisa zusammen. Übertrieben die anspielungsreichen Namen, klischeehaft die Konstellation in dem mit dem Bachmann-Preis 1997 ausgezeichneten Erstling Wie man's nimmt von Norbert Niemann. Schon bald ist zu bemerken, daß es genau darum geht: um Stereotypen und um den „Film“, den jeder sich entwirft, um sich darin einzurichten.

Niemann, 1961 geboren, gibt sich als cooler Autor mit Chronisten-Überblick. Da reproduziert er schon mal im Überschwang der Entlarvung des Zitathaften einfach so die eigentlich doch problematisierten Stereotypen. Zentral in der Geschichte ist ein Altarbild, dessen Firnis völlig erblindet ist. Schnell bemerkt der Restaurator Schönlein, daß es nichts zu retten gibt, das ursprüngliche Bild ist völlig mit seinen Übermalungen verschmolzen, nichts Originales mehr freizulegen. Eine schöne Analogie. Man fragt sich: Wer restauriert wen? Das Bild Schönlein, Schönlein das Bild?

Niemann beschreibt das Problem: Was ist au-thentisch, was ist Zitat? Daß narrative Beschreibung hier gerade das Problem ist, wird selten sichtbar. „Mit Codes erzählen und sie so sichtbar werden lassen“, wolle er, der Autor, und einen Weg finden, „Literatur aus der Ohnmacht eingefahrener Abweichungen zu befreien“. Beides ist mit Wie man's nimmt gescheitert. Vielleicht wäre es besser, keinen „großen Gesellschaftsroman“(Verlagswerbung) mehr schreiben zu wollen.

Jens E. Sennewald

Lesung: heute, 20 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38

Norbert Niemann: Wie man's nimmt. Roman. Hanser, München 1998, 432 Seiten, 46 DM