„Berufe dritter Wahl“

■ Handwerkskammer gegen „kleinen Gesellenbrief“, Handelskammer dafür

Wer als Azubi zweimal durch die Prüfung gerasselt ist, soll trotzdem nicht hinten runter fallen – darauf hat sich dieser Tage Bundesbildungsminister Jürgen Rüttgers (CDU) mit den Spitzen der Arbeitgeber geeinigt und den Weg für den „kleinen Gesellenbrief“freigemacht. „Durchfaller“sollen von den Berufskammern ein Zertifikat erhalten, das bisher erworbene Fähigkeiten bescheinigt.

Doch in Bremen können darauf wohl nur Azubis in Handel und Industrie hoffen. Denn während die Handelskammer dafür ist, lehnt die Handwerkskammer die Briefe ab. „Das gibt eine Schmalspurausbildung“, sagt Günter Dahlbeck, Geschäftsführer der Bremer Kreishandwerkerschaft.

Schon im Sommer will dagegen die Bremer Handelskammer Zertifikate für durchgefallene Lehrlinge ausstellen. „Wir sehen das positiv für die Jugendlichen, weil sie nicht mehr nur ein Zeugnis bekommen, sondern richtig etwas in der Hand haben“, sagt dazu Handelskammer-Geschäftsführer Horst Meyer. Der Jugendliche müsse jetzt nicht mehr lange erklären, was er alles gelernt habe, sondern hätte eben ein Papier dabei. Gleichwohl könne das nur ein erster Schritt sein – auf dem Weg hin zu praxisorientierteren Ausbildungen. Denn die hohe Durchfallerquote von 12,5 Prozent zeige: „In der Theorie beim Lernen, Rechnen und Schreiben sind die Fähigkeiten katastrophal.“

Auch die Handwerkskammer hat hohe Abbrecher- und Durchfallerzahlen von bis zu 18 Prozent zu beklagen. Doch sie will weder an der Ausbildungsordnung rütteln noch kleine Gesellenbriefe verteilen. „Wir sorgen aus alter Tradition dafür, daß so viele wie möglich die Prüfungen schaffen“, sagt Günter Dahlbeck von der Kreishandwerkerschaft. Durch die neuen Briefe schaffe man nur „eine neue Zweiklassengesellschaft und Berufe zweiter und dritter Wahl“. Die ungelernten „Durchfaller“würden nämlich nur noch 60 Prozent eines Gesellenlohnes erhalten. Außerdem brauche das Handwerk qualifizierte Mitarbeiter. „Da unterscheiden wir uns von der Industrie. Die braucht wohl solche Billigarbeitskräfte“, meint er.

Das Nein zu kleinen Gesellenbriefen unterstützen auch die Gewerkschaften. „Wir fürchten bei den Arbeitgebern Lohndrückerei“, sagt IG-Bau-Geschäftsführer Wolfgang Jägers. Auf die ablehnende Bremer Haltung reagiert man im Bundesbildungsministerium aber gelassen: Die regionalen Kammern könnten autonom entscheiden. Doch eigentlich sei es das Ziel, die Zertifikate flächendeckend einzuführen. In einigen Bundesländern werde daran bereits gearbeitet. Schließlich sollten alle „Durchfaller“eine „reelle Chance“erhalten. Doch ob die „kleinen Gesellenbriefe“tatsächlich eine „Eintrittskarte für den Arbeitsmarkt“sind, bezweifeln selbst Bremer Arbeitgeber (siehe Kasten). kat